Veranstaltung von NACHGEFRAGT und DGB / Arbeit und Leben: „Rechtsradikalismus in den Betrieben –  Ursachen und Folgen für die Demokratie“ am 9.7.2024

Ohne die Zuwanderung von Arbeitskräften „können wir den Laden hier dichtmachen“

„Jetzt komme ich schlauer raus, als ich reingekommen bin“

Bei Interesse am Sendungsmitschnitt des Freien Radios bitte Mail an initiativenachgefragt@gmx.de

Der Abend am 09. Juli im DGB Haus mit Klaus Dörre, Prof. an der Uni Jena, und Orry Mittenmayer, Gewerkschafter der NGG, hat sich offenbar für den oben zitierten Teilnehmer gelohnt. Im Mittelpunkt der über zweistündigen Veranstaltung mit knapp 100 Teilnehmenden stand die Frage, wie es die AfD mit ihrer ausländerfeindlichen Politik schaffen konnte, fast ein Drittel der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zum Beispiel in der Autoindustrie für sich und ihre Politik zu gewinnen. Dem setzte Dörre das zentrale Argument entgegen, ohne die Zuwanderung von Arbeitskräften „können wir den Laden hier dichtmachen.“

Dazu präsentierte Dörre eindrucksvolle Zahlen: 36,6% der Beschäftigten in der Altenpflege haben einen Migrationshintergrund. Auch im Gesundheitswesen (Human- und Zahnmedizin) wäre ohne die migrantischen Arbeitskräfte eine Versorgung der Patienten in hohem Maße gefährdet, denn fast 30% der Beschäftigten dort haben einen Migrationshintergrund. Allein diese Zahlen machen deutlich, so der Hinweis von Dörre, wie absurd die Remigrationsfantasien einiger AfD-Politiker und Rechtsradikaler sind.

Doch allein mit Zahlenbeispielen wird man die Kolleginnen und Kollegen in den Betrieben, die mit der AfD sympathisieren, nicht zurückgewinnen können. Orry Mittenmayer wies in seinem Beitrag darauf hin, wie wichtig die Installierung von Betriebsräten ist und dass vor allem eine an den Bedürfnissen und Interessen der Beschäftigten orientierte und konsequente gewerkschaftliche Betriebratspolitik eine „Brandmauer“ gegenüber dem Rechtsradikalismus darstellt. ‚Das persönliche Gespräch‘ und die argumentative Auseinandersetzung mit AfD-Sympathisanten sind hierbei unerlässlich. Mit der ‚Nazikeule‘ wird man die Kolleginnen und Kollegen nicht zurückgewinnen können.

Dies war auch die einhellige Meinung der Diskutanten, viele von ihnen Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter, im Anschluss an die Beiträge der Referenten. Darüber hinaus wurde in der Diskussion hervorhoben, dass Forderungen der Zivilgesellschaft an die herrschende Politik etwa zur Verbesserung der Integration von Geflüchteten das von den Referenten gewünschte ‚persönliche Gespräch‘ begleiten müssten. Dabei könnten, so ein Diskussionsteilnehmer, die wirtschaftlichen und sozialen Folgen der deutschen Beteiligung an dem Ukrainekrieg nicht außen vor bleiben.

Von dieser Veranstaltung, die neben der Initiative NACHGEFRAGT e.V. noch vom DGB Nordhessen, Arbeit und Leben, der GEW, der VHS Region Kassel und vom Evangelischen Forum getragen wurde, sollten, so die Meinung vieler Teilnehmenden, weitere zivilgesellschaftliche Impulse mit dem Ziel ausgehen, das weitere Vordrängen rechtsextremistischer Positionen aufzuhalten und schließlich zurückzudrängen. 

Michael Lacher

Mehr:

https://www.fr.de/wirtschaft/soziologe-klaus-doerre-wir-muessen-arbeit-und-klasse-wieder-zum-thema-machen-93148612.html

Dörre, K., Bose, S., Lütten, J. et al. Arbeiterbewegung von rechts? Motive und Grenzen einer imaginären Revolte. Berlin J Soziol 28, 55–89 (2018). https://doi.org/10.1007/s11609-018-0352-z

Dörre, K., Liebig, S., Lucht, K. et al. Klasse gegen Klima? Transformationskonflikte in der Autoindustrie. Berlin J Soziol 34, 9–46 (2024). https://doi.org/10.1007/s11609-023-00514-z

Gescheiterte Aufklärung? – Untersuchungsausschüsse in hessischen Verhältnissen

Veranstaltung am 25.10.2023 – 18:00 bis 20:00

Kirche im Hof, Friedrich-Ebert-Straße 102

Thesen zum Hessischen Untersuchungsausschuss 20/1 (Dr. Walter Lübcke) für die Veranstaltung „Gescheiterte Aufklärung – Untersuchungsausschüsse in hessischen Verhältnissen“ am 25.10.2023

Von Horst Paul Kuhley

  1. Wir von der Initiative NACHGEFRAGT haben zu Beginn der Arbeit des Untersuchungsausschusses angenommen, es sei ein Grund für Optimismus, dass zum ersten Mal in Hessen ein Gesetz für Untersuchungsausschüsse als Grundlage der Arbeit einstimmig verabschiedet wurde.
  2. Ein zweiter Grund für Optimismus schien uns die Wahlen eines SPD-Abgeordneten als Berichterstatter und des Linken Abgeordneten Hermann Schaus zum stellvertretenden Ausschussvorsitzenden zu sein.
  3. Drittens waren wir der Hoffnung, dass die Regierungspartei CDU bei der Untersuchung des Mordes an einem Repräsentanten aus ihren eigenen Reihen mehr Eifer an den Tag legen würde, als beim NSU-Mord an Halit Yozgat.
  4. Viertens hat der Einsetzungsbeschluss des Landtags Hoffnung gemacht, dass auch die Zusammenhänge zwischen beiden Morden und die Kontinuitäten der rechtsextremen Szene in Nordhessen zur Sprache kommen würden. Diese Hoffnung hat sich nicht erfüllt.
  5. Bedenken kamen uns dann, als während der Corona-Monate im Jahr 2020 ein fast endloses Gezerre hinter den Kulissen über die zu ladenden Zeugen und über Einsichtnahme in Gerichtsakten stattfand.
  6. Als wir dann hörten, dass die Ausschusssitzungen nur presseöffentlich stattfinden sollten, haben wir zum ersten Mal direkt in die Ausschussarbeit eingegriffen und uns mit anderen Initiativen für allgemeine Öffentlichkeit der Sitzungen eingesetzt. Es wurde dann ebenfalls hinter den Kulissen ein Kompromiss erzielt, der 30 je Plätze für Presse und allgemeine Öffentlichkeit zuließ. Diese Zahl an Plätzen wurde nur an zwei Terminen benötigt (Vernehmung Ernst, Vernehmung Hartmann). Oft waren die Mitglieder von NACHGEFRAGT allein auf den Öffentlichkeitsplätzen. Es ist uns jedoch glaubwürdig versichert worden, dass die Anwesenheit von uns einen Unterschied in der Intensität der Befragungen erzeugte. Es gab eine Begleitung der Arbeit durch eine Veranstaltungsreihe von uns und den Blog von Michael Lacher. Die Koalitionsfraktionen haben aber sich nicht großartig beteiligt.
  7. Wir haben ein zweites Mal zur Mitte der Ausschusszeit in die Arbeit eingegriffen, indem wir bemängelten, dass manche Ausschussmitglieder, insbesondere die von CDU und Grünen auf ihr Fragerecht in Sitzungen verzichteten und somit die Opposition allein an der Aufklärung arbeiten musste. Danach trat kurz eine Veränderung ein zu einem respektvolleren Umgang miteinander.
  8. Insbesondere durch den Ausschussvorsitzenden Heinz (CDU) aber auch durch andere Abgeordneten, wie Bellino und Müller (beide CDU) wurde systematisch verhindert, dass Fragen zum zweiten Teil des Einsetzungsbeschlusses, nämlich zur rechtsradikalen Szene gestellt werden konnten, sofern sie nicht auf die Namen Ernst und Hartmann konzentriert waren.
  9. Es war in unseren Augen ein Skandal mit Ansage als durch den ehemaligen Innenminister und jetzigen Ministerpräsidenten Rhein ein pauschaler Freispruch vom Behördenversagen formuliert wurde, dem sich sein Nachfolger nur anschließen musste, mit dem Tenor: Der Mord an Walter Lübcke war nicht zu verhindern.
  10. Dieser Skandal wurde noch übertroffen, dadurch dass still und heimlich von wem auch immer ein detaillierter Abschlussbericht vorbereitet wurde, eingebracht von Holger Bellino, den CDU und GRÜNE dem sorgfältig ausgearbeiteten Bericht des offiziellen Berichterstatters Kummer (SPD) per Ein-Stimmen-Mehrheit als offiziellen Bericht entgegensetzen konnte. Auch hier mit dem Tenor: Es wurden keine Fehler gemacht, der Mord war nicht zu verhindern.

Auf der Zielgeraden – Der Untersuchungsausschuss 20/1 (Dr. Walter Lübcke) im Hessischen Landtag

Der Untersuchungsausschuss 20/1 (Dr. Walter Lübcke) wurde im Sommer 2020 vom Hessischen Landtag in Wiesbaden mit einem einstimmigen Beschluss eingesetzt, um ungelösten Fragen zur rechten Szene in Nordhessen nachzugehen und Behördenversäumnisse im Zusammenhang mit dem Mord an Walter Lübcke aufzuarbeiten. Er hat inzwischen mehr als dreißig Mal, zumeist öffentlich, getagt und wird im Sommer 2023 einen Ergebnisbericht vorlegen. Noch immer aber gibt es zahlreiche offene Fragen, zu denen weitere Zeuginnen und Zeugen gehört werden sollen. Bis zum März 2023 sind folgende Termine geplant:

07. 10. 2022

04. 11. 2022

25. 11. 2022

14. 12. 2022

20. 01. 2023

23. 02. 2023

März 2023 (noch optional)

Beginn der öffentlichen Sitzungen ist in der Regel 9:30 Uhr. Man sollte sich rechtzeitig am Eingang Grabenstraße einfinden. Dort wird ab 9:00 Uhr auch ein Corona-Test angeboten, der jedoch derzeit (Stand 1.9.2022) nicht verpflichtend ist, ebenso wenig das Maske-Tragen.

Die Wahrnehmung von Bürgerrechten ist ein Eckpfeiler der Demokratie. Deshalb nehmen wir als Initiative NACHGEFRAGT schon seit Beginn der Beratungen die Möglichkeit wahr, an den öffentlichen Sitzungen im Untersuchungsausschuss als „Interessierte Öffentlichkeit“ teilzunehmen. Alle Bürgerinnen und Bürger haben das Recht, sich zu diesen Sitzungen anzumelden.

Das Anmeldeverfahren

Die Anmeldung ist digital mit einem Formular oder auch formlos unter dem Link una20-1@ltg.hessen.de möglich. Die Webseite mit den Anmeldemodalitäten wird etwa 8 – 10 Tage vor dem jeweiligen Ausschusstermin geöffnet (zu finden unter: „Anmeldung zum Lübcke-Untersuchungsausschuss am…“). Die Anmeldebestätigung mit Zusage eines Platzes erfolgt wenige Tage später, unmittelbar danach wird die Einladung mit Tagesordnung veröffentlicht. Die Anzahl der Plätze auf der Zuschauertribüne ist begrenzt, die Zahl der Interessierten in der Regel allerdings auch, sodass bisher alle unsere Anmeldungen berücksichtigt werden konnten.

Das öffentliche Interesse an der Arbeit des Untersuchungsausschusses hat inzwischen leider abgenommen, so dass es manchmal recht einsam auf der Zuschauertribüne ist. Ähnliches gilt für die Anzahl der Pressevertreter und die spärlicher werdende Berichterstattung in den Medien. Das ist auch für die Ausschussmitglieder enttäuschend, und das Desinteresse belastet sie. Andererseits sind die Abgeordneten interessiert an den Rückmeldungen der Öffentlichkeit zum Beispiel in Sitzungspausen oder per eMail.

Zugegeben: nicht immer ist die Teilnahme an den öffentlichen Ausschuss-Sitzungen vergnügungssteuerpflichtig. Manche Zeugenbefragungen gestalten sich zäh und die Tage in Wiesbaden werden oft lang. Für die Mitglieder von NACHGEFRAGT kommen je zweieinhalb Stunden für die Hin- und Rückfahrt hinzu. Noch immer ist aber auch mit überraschenden Erkenntnissen und unerwarteten Highlights zu rechnen, wie zum Beispiel dem schonungslos klaren Urteil eines früheren Verfassungsschutzchefs oder der anschaulichen Schilderung einer ehemaligen VS-Mitarbeiterin, welche die ganze Misere der ‚schnellen Aktenlöschungen‘ offenbarte.

Deshalb ermutigen wir alle Bürgerinnen und Bürger zur Teilnahme an den Sitzungen, um sich selbst ein Bild von der Arbeit der Abgeordneten und dem Verhalten der Zeugen zu verschaffen. Von Abgeordneten verschiedener Parteien ist uns versichert worden, dass die eigene Fragehaltung und die Nachdrücklichkeit bei der Zeugenvernehmung durch anwesende „Öffentlichkeit“ durchaus unterstützt wird.

Wenn Sie Interesse an einer Teilnahme und/oder Schwierigkeiten bei der Anmeldung haben, kontaktieren Sie uns unter initiativenachgefragt@gmx.de.

Die Nazi-Frau von nebenan…Zu Rollenbildern und Aktionsfeldern von Frauen in der rechtenSzene

Lange Zeit haben in der öffentlichen Wahrneh-mung Frauen in der rechtsextremen Szene kaum eine Rolle gespielt. Sie galt als „männliche Do-mäne“. Diese Wahrnehmung war vom öffentli-chen Auftreten der Szene und dem gängigen traditionellen rechten Frauenbild der scheinbar „unpolitischen“ Ehefrau und Mutter geprägt. Aber seit einigen Jahren treten Frauen in der extremen Rechten auch öffentlich mehr in Er-scheinung.
Mittlerweile ist bekannt und erforscht, dass Frauen in der rechten Szene in unterschiedli-chen Aktionsfeldern aktiv sind und durchaus auch Führungspositionen einnehmen können.

mehr…

Kurzer Bericht (download pdf)…

30.09.2021 um 18:00 Uhr in der Karlskirche Martín Steinhagen/Joachim Tornau: Der Mord an Walter Lübcke

Der Autor Martín Steinhagen wird neben der Vorstellung seines Buches im Gespräch mit dem Journalisten, Kenner der rechtsradikalen Szene in der Region und Autor zahlreicher Publikatio-nen zum Rechtsradikalismus, Joachim F. Tor-nau, versuchen, Hintergründe, Entwicklungen und mögliches Behördenversagen auf die Spur zu kommen.

Flyer zur Veranstaltung

Jahresrückblick 2020

Kasseler Initiative NACHGEFRAGT e. V. – Für Demokratie, Aufklärung und politische Bildung
Jahresrückblick 2020


Liebe Mitglieder von NACHGEFRAGT e. V.,
unser erstes „vollständiges“ Vereinsjahr 2020 war gleich ein sehr besonderes. In der Folge der „Kasseler Erklärung“, die kurz vor dem Jahreswechsel am 14.12.2019 in der HNA erschien, bahnte sich eine kontinuierliche Zusammenarbeit mehrerer Organisationen und Personen für die Planung einer Veranstaltung im Sommer 2020 an. Ein Fest auf dem Rainer-Dierichs-Platz vor dem Kulturbahnhof sollte verschiedenen Demokratie-Initiativen die Gelegenheit geben, sich zu präsentieren. „Kick Rechts weg“, organisiert vom Kasseler Jugendring, wollte ein Fußballturnier für Freizeitkicker anbieten. Und Abgeordnete des Hessischen Landtags beabsichtigten über die Arbeit des neu zu gründenden Untersuchungsausschusses zum Behördenversagen im Fall des Mordes an Dr. Walter Lübcke (UNA 20/1) zu informieren. Als Termin war der 27.6.2020 geplant. In Vorbereitung darauf führte der Vorstand der Initiative Gespräche mit Torsten Felstehausen, MdL und Günter Rudolph, MdL. An den Vorbereitungen waren auch die Ansprechpartner im Kulturbahnhof (Caricatura, Offener Kanal, Bali-Kinos etc.) und die Initiative „Nach dem Rechten sehen“ sowie die evangelische und die katholische Kirche beteiligt.
Durch den Anschlag von Hanau am 19. Februar, bei dem ein Rechtsterrorist neun Menschen auf der Straße, in Shisha-Bars und später seine eigene Mutter und sich selbst tötete, wurde erneut bestätigt, wie wichtig die Arbeit an einem gesellschaftlichen Konsens gegen rechte Gewalttäter ist.
Unsere Mitgliederversammlung fand wie geplant am 6. März im Stadtteilzentrum Vorderer Westen statt. Dort wurde vom Vorstand die Jahresplanung vorgestellt und es wurden Verabredungen für die Weiterarbeit getroffen.

Dann kam Corona.

Es war schwierig, eine politische Gesprächskultur aufrecht zu erhalten. Treffen in kleinen Gruppen waren zunächst nur mit Abstand und im Freien möglich. Vorstandssitzungen wurden im ersten „Lockdown“ als Telefon- oder Videokonferenzen abgehalten. Trotzdem gelang es, mit der Friedrich-Ebert-Stiftung und den Kopiloten die Konzipierung eines Fortbildungs-Moduls gegen Hatespeech im Netz zu vereinbaren, das in den Grundzügen gegen Ende 2020 zur Verfügung stehen sollte (und auch gegen Ende 2020 fertig wurde).
Wir brachten die Idee eines Gedenkgottesdienstes für Dr. Walter Lübcke in die erste Präsenzsitzung des Arbeitskreises „Kultur gegen Rechts“ nach dem ersten „Lockdown“ ein. Sie stieß dort auf spontane Zustimmung. Auch die Familie Lübcke empfand die Idee als eine Unterstützung ihrer Trauerarbeit. Innerhalb kürzester Zeit wurde ein ökumenischer Gottesdienst in der katholischen Kirche Sankt Elisabeth vorbereitet und am 4.6.2020 realisiert. Aufgrund der Corona-Pandemie und der strengen Schutzbestimmungen war der Gottesdienst nur mit sehr begrenzter Teilnehmerzahl und nach Voranmeldung möglich. Für den von Pastoralreferent Stefan Ahr und Dekan Dr. Gernot Gerlach gestalteten Gottesdienst gab es eine musikalische Begleitung durch Regionalkantor Thomas Pieper (Orgel) und Judith Gerdes (Oboe). Neben der Familie Lübcke und den Demokratie-Initiativen waren viele Vertreter des politischen Lebens in Kassel gekommen, an ihrer Spitze Justizministerin Eva Kühne-Hörmann und Regierungspräsident Hermann-Josef Klüber. Im Anschluss an den Gottesdienst nutzten viele Gäste die von NACHGEFRAGT zur Verfügung gestellten weißen Nelken, um sie im Gedenken an Dr. Walter Lübcke am Regierungspräsidium Kassel niederzulegen.


NACHGEFRAGT beteiligte sich im Sommer 2020 an dem Aufruf „Demokratie stärken“, in dem Demokratie-Initiativen aus Hessen mit einem 10-Punkte Katalog mehr Engagement der hessischen Landesregierung und des Landtags bei der Bekämpfung rechtsradikaler und rassistischer Gewalt einfordern.
Die kontinuierlichen Gespräche im Kulturarbeitskreis führten zu einer engeren Zusammenarbeit von NACHGEFRAGT mit „Nach dem Rechten sehen“. In dem dreitägigen Festival vom 9. bis 11. September in der Kasseler Nordstadt übernahm unser Verein die Gestaltung eines Programmteils am 10.9.2020. Drei Angebote wurden realisiert: In einer ersten Runde diskutierten die Landtagsabgeordneten Nancy Faeser und Hermann Schaus mit Gerald Warnke und Sonja Brasch, moderiert von Lotte Laloire (Response), über die Perspektiven des Untersuchungsausschusses zum Mord an Dr. Walter Lübcke. Hier wurde die maximale Besucherzahl des großen Veranstaltungssaals im Kulturzentrum Schlachthof unter Beachtung der Hygiene-Bedingungen ausgeschöpft. Die Abgeordneten und die Experten sahen Anzeichen dafür, dass für den neuen Untersuchungsausschuss mit einer besseren Zusammenarbeit zwischen den Fraktionen des Landtags zu rechnen sein könnte, als dies im NSU-Ausschuss der vorigen Landtagsperiode der Fall war. Zuschauerfragen machten deutlich, dass das Interesse der Öffentlichkeit an der Arbeit des Ausschusses groß sein wird. Im Anschluss an die Podiumsdiskussion wurden in einem Gespräch im kleinen Kreis die Modalitäten der Zusammenarbeit zwischen NACHGEFRAGT und den Landtagsabgeordneten diskutiert.
Für das Programm des Kasseler „Herrenkonfekts“ war der Zuschauerandrang nicht sehr groß. Allerdings waren die beiden Protagonisten erfreut, überhaupt einen kulturellen Beitrag leisten zu können und ein (kleines) Honorar von NACHGEFRAGT zu erhalten.

Großen Andrang gab es ebenfalls für die dritte Veranstaltung am 10. September „Nur Männersache? Frauen in der extremen Rechten“, in der Sonja Brasch eine Übersicht über die Rolle der Frauen bei den Rechten in Nordhessen und in den angrenzenden Bundesländern gab. Sehr viele junge Frauen waren im Publikum vertreten. Es wurde deutlich, dass dieses Thema bisher zu wenig Beachtung gefunden hat. Als Konsequenz hat sich eine Arbeitsgruppe bei NACHGEFRAGT gebildet, die in 2021 weitere Veranstaltungen über Frauen in der Neuen Rechten plant, zum Beispiel über „rechte Influencerinnen auf Youtube“.
Parallel zum Festival wurde am 10.9.2020 ein Interview von Lukas Kiepe mit Torsten Felstehausen zur Arbeit des Lübcke-Ausschusses im Offenen Kanal durchgeführt, initiiert von NACHGEFRAGT. Für eine zweite Diskussionsveranstaltung über den Untersuchungsausschuss im Offenen Kanal mit Günter Rudolph und Vanessa Gronemann, moderiert von Lukas Kiepe, trug dann das Evangelische Forum die Verantwortung. Michael Lacher (NACHGEFRAGT) war als Experte dazu geladen. Zwischen NACHGEFRAGT und dem Evangelischen Forum wurde vereinbart, in 2021 eine abwechselnd zu organisierende Sendereihe über den Untersuchungsausschuss (UNA 20/1) zu gestalten.

Die beiden Vorsitzenden des Vereins beteiligten sich an einem Bildungsträgerworkshop der Friedrich-Ebert-Stiftung, der am 23.September 2020 in Frankfurt am Main stattfand. Dort wurden Konzepte für eine Bildungsarbeit diskutiert, die unter den eingeschränkten Corona-Bedingungen und mit medialer Unterstützung stattfinden muss.
Schließlich gelang es sogar, eine Jahreshauptversammlung von NACHGEFRAGT e. V. am 23.10.2020 in den Räumen des Offenen Kanals durchzuführen. Sie war aus vereinsrechtlichen Gründen notwendig, um die dauerhafte Anerkennung der Gemeinnützigkeit zu erreichen. Es konnten jedoch auch die Perspektiven der Arbeit für 2021 vorgestellt und Planungen beschlossen werden. So wird der Verein sich mit der Sprache und den Strategien der „Neuen Rechten“ in einer Veranstaltung beschäftigen, für die die österreichische Expertin Natascha Strobl bereits zugesagt hat. Die oben beschriebene Veranstaltungsreihe zu „rechten Frauen“ wird weiter vorbereitet, eine der Veranstaltungen soll wieder im Rahmen des Festivals „Nach dem Rechten sehen“ stattfinden. Die Planung eines Kulturtags auf dem Rainer-Dierichs-Platz soll fortgesetzt werden.
Die Sitzungen des Arbeitskreises „Kultur gegen Rechts“ finden weiter statt, entweder in Präsenz oder online als Video-Konferenz. Das Gleiche gilt für die Vorstandssitzungen von NACHGEFRAGT e. V. Unter erschwerten Bedingungen wird auch die Begleitung des Untersuchungsausschusses fortgesetzt werden. Auch an der virtuellen „Zukunftskonferenz“ des DGB am 7.11.2020 nahmen mehrere Vorstandsmitglieder teil. Ein Gespräch über gemeinsame Vorhaben mit dem DGB wird am Beginn von 2021 stattfinden. Nicht zuletzt auf Druck unseres Vereins wird auch eine (begrenzte) Zahl von Zuschauern bei den Sitzungen des Ausschusses anwesend sein können, nachdem in 2020 gar keine Besucher im Landtag zugelassen waren.

Für den Vorstand
Horst Paul Kuhley und Elisabeth Gessner

Demokratie stärken, Rechtsextremismus und Rassismus bekämpfen

Die Kasseler Initiative NACHGEFRAGT e.V. unterstützt die Forderungen eines breiten zivilgesellschaftlichen Bündnisses an die hessische Landesregierung, die mit dem Appell „Demokratie stärken, Rechtsextremismus und Rassismus bekämpfen“ am 28.9.2020 öffentlich gemacht wurden.

Höchste Priorität habe die entschiedene Bekämpfung rechter Gruppen und Netzwerke. Deshalb ist NACHGEFRAGT e.V. entsetzt über die Entscheidung des Frankfurter Oberlandesgerichtes, Markus H., den zweiten Angeklagten im Prozess um die Ermordung Dr. Walter Lübckes, aus der Untersuchungshaft zu entlassen. Er war Urheber der Hetzkampagne gegen Dr. Walter Lübcke und Helfershelfer des Hauptangeklagten Stephan Ernst. Die Freilassung dieses überzeugten Neonazis aus der Untersuchungshaft sei ein völlig falsches Signal an die neonazistische Szene. Es sei denn, mit der Entlassung von H. solle oder müsse ein Vertrauensmann des Verfassungsschutzes vor weiterer Inhaftierung geschützt werden, wie bereits mehrfach von verschiedenen Seiten vermutet wurde.

Erforderlich sei vielmehr, dem parlamentarischen Untersuchungsausschuss des Landtages unverzüglich alle notwendigen Akten zur Verfügung zu stellen. Nur so könne mehr Licht in die Netzwerke hinter Stephan Ernst und Markus H. gebracht werden. Weiterhin stehe eine umfassende politische Aufklärung der Morde des NSU und der Rolle des Verfassungsschutzes in seinem Umfeld weiterhin auf der Tagesordnung.

In diesem Zusammenhang begrüßt NACHGEFRAGT auch die Forderung, ein unabhängiges Expert*innengremium einzurichten, das auch Untersuchungen zu Rechtsextremismus und strukturellem Rassismus in staatlichen Behörden in Auftrag geben kann. Angesichts der Tatsache, dass das Land Hessen mit 59 rechtsextremistischen  „Verdachtsfällen“ bei der Polizei Spitzenreiter unter den Bundesländern ist, sei hier unverzügliches Handeln gefragt.

Dieses Expert*innengremium müsse auch in die Förderung von Demokratieprojekten einbezogen werden. Antirassismus- und Antidiskriminierungsarbeit und zivilgesellschaftliche Initiativen gegen Rechtsextremismus müssten endlich nachhaltig gefördert und nicht, wie leider oft geschehen, behindert werden.

Die Haftentlassung von Markus H. ist in jedem Fall ein äußerst fragwürdiges Signal!

Schlussfolgerungen aus der Arbeit des Hessischen NSU-Untersuchungsausschusses

1. Die Einsetzung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses in Hessen war sinnvoll und wichtig. Trotz mancher Mängel und zahlreicher Behinderungen haben die dort tätigen Abgeordneten und ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Erkenntnisse erzielt und öffentlich machen können, die bei einer rein internen Untersuchung keine Aufmerksamkeit gefunden hätten. Dies ist aber auch der Begleitung der Ausschussarbeit durch NSU-Watch und einige Presseorgane zu verdanken.
2. Die Zusammenarbeit von Parlamentariern und zivilgesellschaftlichen Initiativen hat sich aus unserer Sicht bewährt. Die Entwicklung von verbindlichen Kommunikationszusammenhängen zwischen Parlamentariern und außerparlamentarischen, ehrenamtlich tätigen Initiativen über das Ende des NSU-Untersuchungsausschusses hinaus erscheint uns anstrebenswert.
Eine Zusammenstellung der offen gebliebenen oder neu aufgetauchten Fragen im Zusammenhang mit dem Mordfall Yozgat, vor allem aber auch hinsichtlich der rechtsextremistischen und neonazistischen Strukturen in Nordhessen (z.B. zur Rolle von Corynna Görtz), sollte von NSU Watch Hessen auf der Basis der Protokolle aller Ausschuss-Sitzungen angefertigt werden. Die Kasseler Initiative NACHGEFRAGT kann diese Liste um ihre weiterhin offenen Fragen ergänzen (z. B. um die Frage, wer aus welchen Gründen seine Hand über Temme hielt bzw. hält). Der Austausch über eine solche Liste kann zunächst zwischen den beiden Initiativen abgestimmt und interessierten Mitgliedern des hessischen Untersuchungsausschusses als Arbeitsgrundlage zur Verfügung gestellt werden. In welchen Strukturen diesen Fragen zukünftig im Einzelnen nachgegangen werden kann/soll, müsste jeweils konkret diskutiert werden – siehe im Übrigen Pkt. 5 (‚Stiftung‘).
3. Die unterschiedlichen Ebenen des Behördenversagens dürfen unserer Ansicht nach bei seiner Aufarbeitung und der Formulierung entsprechender Konsequenzen auf keinen Fall aus dem Blick geraten. Sie bedürfen jeweils spezifischer Gegenstrategien. Das finale Erliegen jeglicher Aufklärung wurde durch Vorgaben und Verhinderungsstrategien vorgesetzter Dienstbehörden des Verfassungsschutzes und durch aktives Eingreifen der politischen Führung (Verweigerung der Aussagegenehmigung der V-Leute durch Minister Bouffier etc., siehe dazu auch Pkt. b und c) verursacht.
3a) Justiz und Polizei haben bei der Untersuchung des Mordes an Halit Yozgat schwerwiegende systematische Fehler begangen. Sie sind frühen Hinweisen auf ausländerfeindliche Motive der Tat nicht nachgegangen, haben über eine lange Phase einseitig ermittelt, bei den Ermittlungen die Schuld von dem/den Täter/n auf das Opfer verschoben und vor allem die Familie des Opfers ausgeforscht. Dabei sind beide Instanzen des Hessischen Staates über die rechtsstaatlichen Grenzen gegangen. Die rechtlich gebotene Information der Betroffenen über die Überwachungsmaßnahmen fehlt bis heute. Ebenso fehlt eine formelle Entschuldigung der Justiz für die unrechtmäßigen Überwachungsmaßnahmen. Die bei den Vernehmungen im Ausschuss zutage getretene enge Verzahnung der Staatsschutz-Abteilungen der Polizei mit den örtlichen Zweigstellen des Landesamtes für Verfassungsschutz halten wir für ausdrücklich vom Grundgesetz und der Hessischen Landesverfassung verboten.
Der Angabe der Familie Yozgat, dass man auch nach offiziellem Abschluss der Ermittlungen weiter unter Beobachtung stand, sollte nachgegangen werden. Nach einer internen Untersuchung sollten die Präsidenten der Landesbehörden gegenüber dem Hessischen Landtag erklären, ob diese Beobachtung durch hessische Stellen von Justiz, Polizei oder Verfassungsschutz durchgeführt, genehmigt oder zugelassen wurde. Es sollte eine neutrale Ombudsstelle des Landtags für Opfer geben, die sich von der Polizei zu Unrecht verfolgt oder beschuldigt fühlen. Wie in anderen Bundesländern auch müssen in Hessen Polizei und Staatsanwaltschaft scheinbar ‚erledigte‘ Verfahren zu ungeklärten Todesfällen und schweren Körperverletzungen, die nach Angaben der Opfer rassistisch oder politisch motiviert sein könnten, erneut untersuchen. Dabei sollte sichergestellt werden, dass diese Untersuchungen durch qualifizierte Kollegen anderer Dienststellen erfolgt.
3b) Der abstrakte und pauschalisierte Vorwurf eines ‚Institutionellen und strukturellen Rassismus‘ reicht unseres Erachtens nicht aus, um das Behördenversagen bei der Aufklärung der NSU-Morde umfassend zu beschreiben. Zum einen erscheint uns die undifferenzierte Verwendung des Rassismus-Begriffs selbst in der Negation problematisch. Darüber hinaus enthält der Begriff eine Verengung von voreingenommenem resp. vorverurteilendem Behördenhandeln auf ethnisch motivierte Vorurteile und blendet andere, ebenso wirkungsmächtige Stereotypen und Vorurteilsstrukturen (z. B. soziale, politische oder genderbezogene) explizit aus
Wir bestreiten nicht, dass rassistisch geprägte Stereotypen bei den Ermittlungsbehörden weit verbreitet sind und Handlungsstrategien geprägt haben. Das komplette Versagen bei der Aufklärung der NSU-Morde lässt sich allerdings nur aus einem Bündel unterschiedlicher Ursachen erklären. Dazu gehören die in Exekutive und Justiz verbreitete, auch historisch tradierte Blindheit beim Blick nach rechts, ein ausgeprägter Korpsgeist, der Kritik von ‚außen‘ nicht zulässt, die Verselbständigung organisationslogischer Prozesse innerhalb der Sicherheitsbehörden (vgl. dazu auch M. Pichl 2018) , vor allem aber die systematische Verhinderung der Aufklärung durch massive Interventionen von Seiten der Politik und des Verfassungsschutzes.
3c) Auf der operativen Ebene der Ermittlungsbehörden lassen sich im Fall Yozgat im Anfangsstadium der Ermittlungen durchaus (individuell unterschiedlich motivierte und ausgeprägte) Aufklärungsabsichten nachweisen, auch wenn sie nicht hinreichend objektiv ‚in alle Richtungen‘ gingen. Solche – wenn auch unzureichenden und letztlich steckengebliebenen – Ansätze sollten im Gesamtkontext nicht übersehen werden. Zu analysieren wäre, ob und ggf. wie weit sich hier Ressourcen zur Aufarbeitung von Intransparenz und strukturellen Mängeln im Behördenhandeln finden lassen.
Hinsichtlich der Rolle von diskriminierenden Vorurteilsstrukturen und Stereotypen sowie daraus resultierenden einseitigen Vorgehensweisen bei Polizei und Justiz könnte die Weiterentwicklung eines differenzierenden Ansatzes produktiv sein, wie ihn etwa der frühere Leiter der MK Café, Helmut Wetzel, im HNA-Interview am 29. 12. 2017  versucht. Zu den politisch und strukturell zu ziehenden Konsequenzen vgl. auch Pkt. 4 und 5.
4. Die Verwicklung des Hessischen Verfassungsschutzes und/oder anderer deutscher Geheimdienste in den Mordfall Halit Yozgat ist allein durch die Anwesenheit des Verfassungsschützers Andreas Temme offenkundig. Weitere Indizien dafür sind die abgehörten Telefongespräche Temmes mit Kollegen (z. B. „wenn ich weiß, da passiert etwas, gehe ich da nicht hin“…), die Vernichtung sowie die verzögerte und unvollständige Herausgabe von Beweismaterial, die Entfernung des Panzerschranks der Kasseler Zweigstelle, die Verweigerung der Aussagegenehmigung von Temmes V-Leuten sowie die direkte Kommunikation des Innenministeriums und der Abteilungsleiterin Iris Pilling unter Umgehung des Dienstweges mit Temme sowie dessen Beförderung im Anschluss an seine Versetzung.
4a) Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass der Verfassungsschutz seinerzeit in einem rechtsfreien Raum agiert hat und Aufklärungsbemühungen bis heute torpediert. Durch das V-Leute-System hat er, auch in Hessen, die rechte Szene nicht nur alimentiert, sondern auch zur Herausbildung und Verfestigung  neonazistischer Netzwerke beigetragen. Eine Aufarbeitung der im Rahmen der Ausschussarbeit zutage getretenen strukturellen Problematiken und der Verstrickungen zumindest von Teilen der Verfassungsschutz-Ämter in den NSU-Komplex ist bislang vollständig unterblieben. Die demokratische Kontrolle des hessischen Verfassungsschutzes wird durch den von Schwarz-Grün vorgelegten Entwurf für ein neues Verfassungsschutz-Gesetz in keiner Weise verbessert. Stattdessen ist eine schleichende Aufwertung des VS zu beobachten (finanziell, personell, hinsichtlich seiner Befugnisse, z. B. der Regelüberprüfung von Mitarbeiter/innen neuer Demokratie-Initiativen).
4b) Wir lehnen die Ausweitung der Rechte des Verfassungsschutzes entschieden ab, wie sie im neuen Verfassungsschutzgesetz zur Ausspähung von hessischen Bürgerinnen und Bürgern vorgesehen sind. Ebenso sind wir gegen die im Gesetzentwurf und den entsprechenden Verordnungen definierte ‚Extremismusklausel‘. Auch soll die parlamentarische Kontrolle des Verfassungsschutzes nach dem vorgelegten Entwurf nicht hinreichend verbessert werden. Die Regelüberprüfung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Demokratie-Initiativen wollen wir verhindern. Beide Vorhaben der schwarz-grünen Koalition in Hessen widersprechen den Bestimmungen des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland und der Verfassung des Landes Hessen nicht nur dem Geiste, sondern auch dem Buchstaben nach. Dass Hessen einen Versuch macht, Bürgerrechte einzuschränken und Demokratie-Initiativen zu drangsalieren, lässt sich nicht mit Erkenntnissen aus dem NSU-Untersuchungsausschuss begründen. Als Erklärung bleibt einzig ein autoritäres Staatsverständnis der Regierungsparteien von CDU und Grünen. Musterklagen gegen diese Regelungen werden wir unterstützen.
Im Rahmen der überfälligen grundlegenden Reform des Verfassungsschutzes fordern wir die Verbesserung der parlamentarischen Kontrollmöglichkeiten und die Abschaffung des bisherigen V-Leute-Systems.
5. Wir schlagen die Gründung einer Stiftung für politische Bildung (evtl. Halit-Yozgat-Stiftung?) zur zivilgesellschaftlichen Aufarbeitung des NSU-Mordes in Hessen – ausgestattet mit Landesmitteln – vor. Diese Mittel sollten für die nächsten 3 Legislaturperioden zugesagt und durch entsprechende Verpflichtungsermächtigungen in den kommenden Haushalten abgesichert werden.
Die Stiftung für politische Bildung  sollte unserer Meinung nach drei Aufgabengebiete haben:
  • Sicherstellung eines angemessenen Andenkens an das Mordopfer und andere Opfer von Neonazi-Gewalt und Unterstützung von deren Familien.
  • Beiträge zur Aufklärung nach wie vor ungeklärter Umstände der Tat und der Rolle hessischer Behörden, etwa durch Unterstützung entsprechender Recherchen und Entwicklung von dafür geeigneten nichtinstitutionellen Strukturen
  • politische Bildung zur Stärkung eines demokratischen Bewusstseins und zur Prävention gegen Neonazi-Umtriebe in Kassel und Nordhessen in Kooperation und Abstimmung mit geeigneten anderen Akteuren (z.B. MBT Kassel, lea Bildungsgesellschaft etc.). Vgl. im Übrigen Ideenskizze zur Gründung einer Halit-Yozgat-Stiftung, die von uns jedoch noch weiterentwickelt wird.
6. Unabhängig vom oben Gesagten halten wir eine Verstärkung des historisch-politischen Unterrichts in hessischen Schulen und der entsprechenden Lehrangebote an hessischen Hochschulen sowie der außerschulischen Demokratieerziehung in Hessen für dringend notwendig.

Jahresrückblick 2019

Liebe Mitglieder von NACHGEFRAGT e. V.

Unser erstes Vereinsjahr ist zu Ende, und obwohl es nur sechs Monate dauerte, können wir mit den Ergebnissen unserer Tätigkeit sehr zufrieden sein. Der Verein wächst kontinuierlich und hat derzeit (Stand 31.12.2019) 18 Mitglieder. Die Formalitäten der Vereinsgründung waren zeitraubend, konnten aber mit großem Einsatz an Zeit bis November 2019 erledigt werden. Wir verfügen über die amtliche Eintragung als e.V., die vorläufige Gemeinnützigkeitsbescheinigung und ein Vereinskonto. Wir erfüllen unsere Vereinszwecke durch kontinuierliche Arbeit an der Aufklärung der Bevölkerung über die Gefahren durch Neonazis, durch Angebote der innerschulischen und außerschulischen Politischen Bildung und durch die Bereitstellung von Informationen zur demokratischen Willensbildung über die Medien.
Im Rahmen der Vereinszwecke steht auch unsere Mitarbeit beim „Runden Tisch Rechtsextremismus in Hessen“ der Landtagsfraktion der SPD. In den beiden Sitzungen des Jahres 2019 stand auch die Forderung nach einer Landesstiftung für Demokratie, Aufklärung und Politische Bildung in Erinnerung an die hessischen Nazi-Opfer zur Debatte. Die SPD Landtagsfraktion hat damit einen unserer Vorschläge aufgegriffen, den wir unter anderem als Konsequenz aus der Arbeit des hessischen NSU-Untersuchungsausschusses formuliert hatten.
Unsere Vereinsarbeit seit Sommer 2019 fußt auf der ehrenamtlichen Arbeit der Kasseler Initiative NACHGEFRAGT, die seit 2017 daran arbeitete, das Schweigekartell um den Mord an Halit Yozgat, die Rolle des Verfassungsschützers Andreas Temme und die Verhinderung der Aufklärung des Mordes durch Volker Bouffier zu durchbrechen. Zu vier Veranstaltungen von 2017 bis 2019 kamen jeweils mehr als hundert Personen, um sich zu informieren. Die lokalen Medien jedoch hielten zunächst das Thema der rechten Terrornetzwerke nicht für berichtenswert. Im März 2019 veranstaltete die Initiative NACHGEFRAGT eine Podiumsdiskussion mit dem Titel „Gefahr im Verzug“. Auf dieser von der Bildungsgewerkschaft GEW geförderten Veranstaltung kritisierten Bundestags- und Landtagsabgeordnete von SPD, Grünen und Linken sowie die Anwältin Seda Basay-Yildiz insbesondere den mangelnden Aufklärungswillen hessischer Behörden. Im Vorfeld warf man der Initiative wegen des Veranstaltungstitels „Polizeisprech“ und Dramatisierung vor. Der nur drei Monaten später begangene Mord an Dr. Walter Lübcke durch einen bekannten Neonazi, der sich auf wiederum bekannte Neonazis stützen konnte, war allerdings eine Bestätigung unserer Befürchtungen.
Eine unbürokratische Spende des Landtagsvizepräsidenten Dr. Ulrich Wilken (Die Linke) ermöglichte es uns, am 10.10.2019 in der Universität eine Veranstaltung zur der „Gefahr durch rechte Netzwerke in Nordhessen“ durchzuführen. Sie wurde durch zahlreiche Organisationen spontan unterstützt. Über 230 Menschen nahmen teil und informierten sich bei den Podiumsteilnehmern Martín Steinhagen, Katharina König, Daniel Göbel und Christopher Vogel (Moderation: Armin Ruda)über die seit langem bestehenden, durch den Mord an Dr. Walter Lübcke wieder in den Fokus der Öffentlichkeit gelangten Gruppierungen von Neonazis in Nordhessen. Deren Verbindungen nach Thüringen, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen ermöglichten auch schon zu Zeiten des ersten NSU logistische Unterstützung für die Mordanschläge. In diesem Zusammenhang haben wir damit begonnen, einen Veranstaltungskalender aus dem thematischen Umfeld des Bündnis gegen Rechts zu entwickeln, um diese Veranstaltungen einer breitere Öffentlichkeit zugänglich zu machen.
Für Schülerinnen und Schüler der Klassen 8 an der Alten Landesschule in Korbach konnten wir eine Veranstaltung mit den Kopiloten e. V. vermitteln, in der es um den Umgang mit Hatespeech im Internet ging. Im Workshop „Hatebreach“ ging es am 27. November 2019 um das Erkennen von Hasskommentaren und die Auseinandersetzung mit gewalttätiger Sprache im Internet.
Unsere größte Leistung in der kurzen Zeit des Bestehens ist jedoch die Formulierung der „Kasseler Erklärung“ zusammen mit anderen Aktivistinnen und Aktivisten des „Bündnis gegen Rechts“ und die Verbreitung dieser Erklärung. In nur drei Monaten unterzeichneten insgesamt 80 Einzelpersonen und 40 Unternehmen und Organisationen diese Erklärung. Viele erfahrene Aktivisten im Bündnis bestätigten uns einen großen Erfolg. Dies hat zu einer besseren Vernetzung innerhalb des Bündnisses geführt. Die meisten der Unterzeichner spendeten größere oder kleinere Geldbeträge, so dass am 14. Dezember 2019 eine halbseitige Anzeige mit dem Text der Kasseler Erklärung und den Unterzeichnern in der HNA erscheinen konnte. Für alle, die diese Ausgabe der HNA verpasst haben, fügen wir ein Faksimile bei.
Die Anzeige hat weitere Nordhessen ermutigt; kontinuierlich gehen neue Unterzeichnungswünsche ein. Wir sehen inzwischen die Kasseler Erklärung als programmatische Basis für eine kontinuierliche Zusammenarbeit im Bündnis gegen Rechts. Wir wollen das Bündnis so von einem rein reaktiven, punktuellen zu einem aktiven Bündnis umbauen, in dem gemeinsame Vorhaben gegen Neonazis und für eine offene, vielfältige und solidarische Gesellschaft geplant, koordiniert und umgesetzt werden können.
Wir wollen nicht verschweigen, dass die finanziellen, logistischen und „diplomatischen“ Aufgaben im Vorfeld der Veröffentlichung der Erklärung den Vereinsvorstand bis an die Grenzen des Möglichen und darüber hinaus belastet haben. Im neuen Jahr werden wir deshalb baldmöglichst auf einer Mitgliederversammlung am 6. März 2020 um weitere Unterstützung werben. Dabei sind Gäste neben den Vereinsmitgliedern stets willkommen. Eine gesonderte Einladung mit Tagesordnung wird Euch/Ihnen rechtzeitig zugehen.
Wir werden uns auch mit der Bitte um Unterstützung an die Kooperationspartner bei der Kasseler Erklärung wenden. Wenn sich einige Mitglieder und Andere bereit erklären, eingeschränkte Teilaufgaben zu übernehmen, können wir das nächste Ziel, eine Kulturveranstaltung auf dem Rainer-Dierichs-Platz am Kulturbahnhof im Juni 2020 gemeinsam mit anderen Initiativen anstreben.
Inzwischen ist unser Verein auch zum Ansprechpartner der lokalen und überregionalen Medien geworden. Beiträge über unseren Verein oder Interviews mit Vorstandsmitgliedern erschienen zum Beispiel im „Bericht aus Berlin“ (ARD), im Berliner „Tagesspiegel“, im „Südwestdeutschen Rundfunk“, in der „FAZ+“ und immer wieder in der „HLZ“, Zeitschrift der GEW Hessen. Auch werden wir öfter zu Hintergrundgesprächen zur rechten Szene in Nordhessen durch Journalisten angefragt.
Ich danke den Vorstandsmitgliedern Barbara Aner-Kuhley, Karl Bachsleitner, Elisabeth Gessner, Marianne Huttel, Thomas Jansen und Rainer Tigges-Gessner für die verlässliche und konstruktive Zusammenarbeit. Sie hat die oben beschriebenen Erfolge möglich gemacht.
Der Vorstand wünscht allen Mitgliedern ein erfolgreiches Neues Jahr, viel Glück und Gesundheit.

Kassel, im Januar 2020
Horst Paul Kuhley
(Erster Vorsitzender)

Begrüßung Gedenkgottesdienst

Liebe Familie Lübcke, liebe Angehörige, sehr geehrte Damen und Herren,

wir Demokratie-Initiativen vom Bündnis gegen Rechts haben diesen Gottesdienst zusammen mit der katholischen und der evangelische Kirche vorbereitet. Das Gedenken an Dr. Walter Lübke, einen Staatsmann zum Anfassen, einen prinzipientreuen Politiker und einen großartigen Menschen steht heute im Mittelpunkt. Erst vor Kurzem wurde daran erinnert, dass Walter Lübcke in den neunziger Jahren in Thüringen ebenfalls Bildungsarbeit für Demokratie und gegen Nazis organisierte. Er fehlt uns allen sehr, das zeigt das große Interesse an diesem Gottesdienst. Wir bitten die Privatsphäre der Familie zu respektieren.