Neuwahl des Vorstands

Bei der Jahreshauptversammlung am 7.11.2023 wurde der Vorstand für die neue Amtszeit von 2023 bis 2025 gewählt. Es wurden gewählt:

Horst Paul Kuhley (1. Vorsitzender)
Elisabeth Gessner (2. Vorsitzende)
Heike Lühmann (Kassiererin)
Karl Bachsleitner (Beisitzer)
Michael Lacher (Beisitzer)
Jacqueline Renz (Beisitzerin)
Rainer Tigges-Gessner (Beisitzer)

Gescheiterte Aufklärung? – Untersuchungsausschüsse in hessischen Verhältnissen

Veranstaltung am 25.10.2023 – 18:00 bis 20:00

Kirche im Hof, Friedrich-Ebert-Straße 102

Thesen zum Hessischen Untersuchungsausschuss 20/1 (Dr. Walter Lübcke) für die Veranstaltung „Gescheiterte Aufklärung – Untersuchungsausschüsse in hessischen Verhältnissen“ am 25.10.2023

Von Horst Paul Kuhley

  1. Wir von der Initiative NACHGEFRAGT haben zu Beginn der Arbeit des Untersuchungsausschusses angenommen, es sei ein Grund für Optimismus, dass zum ersten Mal in Hessen ein Gesetz für Untersuchungsausschüsse als Grundlage der Arbeit einstimmig verabschiedet wurde.
  2. Ein zweiter Grund für Optimismus schien uns die Wahlen eines SPD-Abgeordneten als Berichterstatter und des Linken Abgeordneten Hermann Schaus zum stellvertretenden Ausschussvorsitzenden zu sein.
  3. Drittens waren wir der Hoffnung, dass die Regierungspartei CDU bei der Untersuchung des Mordes an einem Repräsentanten aus ihren eigenen Reihen mehr Eifer an den Tag legen würde, als beim NSU-Mord an Halit Yozgat.
  4. Viertens hat der Einsetzungsbeschluss des Landtags Hoffnung gemacht, dass auch die Zusammenhänge zwischen beiden Morden und die Kontinuitäten der rechtsextremen Szene in Nordhessen zur Sprache kommen würden. Diese Hoffnung hat sich nicht erfüllt.
  5. Bedenken kamen uns dann, als während der Corona-Monate im Jahr 2020 ein fast endloses Gezerre hinter den Kulissen über die zu ladenden Zeugen und über Einsichtnahme in Gerichtsakten stattfand.
  6. Als wir dann hörten, dass die Ausschusssitzungen nur presseöffentlich stattfinden sollten, haben wir zum ersten Mal direkt in die Ausschussarbeit eingegriffen und uns mit anderen Initiativen für allgemeine Öffentlichkeit der Sitzungen eingesetzt. Es wurde dann ebenfalls hinter den Kulissen ein Kompromiss erzielt, der 30 je Plätze für Presse und allgemeine Öffentlichkeit zuließ. Diese Zahl an Plätzen wurde nur an zwei Terminen benötigt (Vernehmung Ernst, Vernehmung Hartmann). Oft waren die Mitglieder von NACHGEFRAGT allein auf den Öffentlichkeitsplätzen. Es ist uns jedoch glaubwürdig versichert worden, dass die Anwesenheit von uns einen Unterschied in der Intensität der Befragungen erzeugte. Es gab eine Begleitung der Arbeit durch eine Veranstaltungsreihe von uns und den Blog von Michael Lacher. Die Koalitionsfraktionen haben aber sich nicht großartig beteiligt.
  7. Wir haben ein zweites Mal zur Mitte der Ausschusszeit in die Arbeit eingegriffen, indem wir bemängelten, dass manche Ausschussmitglieder, insbesondere die von CDU und Grünen auf ihr Fragerecht in Sitzungen verzichteten und somit die Opposition allein an der Aufklärung arbeiten musste. Danach trat kurz eine Veränderung ein zu einem respektvolleren Umgang miteinander.
  8. Insbesondere durch den Ausschussvorsitzenden Heinz (CDU) aber auch durch andere Abgeordneten, wie Bellino und Müller (beide CDU) wurde systematisch verhindert, dass Fragen zum zweiten Teil des Einsetzungsbeschlusses, nämlich zur rechtsradikalen Szene gestellt werden konnten, sofern sie nicht auf die Namen Ernst und Hartmann konzentriert waren.
  9. Es war in unseren Augen ein Skandal mit Ansage als durch den ehemaligen Innenminister und jetzigen Ministerpräsidenten Rhein ein pauschaler Freispruch vom Behördenversagen formuliert wurde, dem sich sein Nachfolger nur anschließen musste, mit dem Tenor: Der Mord an Walter Lübcke war nicht zu verhindern.
  10. Dieser Skandal wurde noch übertroffen, dadurch dass still und heimlich von wem auch immer ein detaillierter Abschlussbericht vorbereitet wurde, eingebracht von Holger Bellino, den CDU und GRÜNE dem sorgfältig ausgearbeiteten Bericht des offiziellen Berichterstatters Kummer (SPD) per Ein-Stimmen-Mehrheit als offiziellen Bericht entgegensetzen konnte. Auch hier mit dem Tenor: Es wurden keine Fehler gemacht, der Mord war nicht zu verhindern.

Bericht vom Podiumsgespräch: Gemeinsam gegen rechts? – Was wir vom Aktionsplan gegen Rechtsextremismus des Bundesministeriums des Inneren erwarten können

Bericht von der Veranstaltung am 2. November 2022 von 18:00-20:00 Uhr in der Karlskirche am Karlsplatz
Veranstalter: Evangelisches Forum Kassel, Initiative NACHGEFRAGT e. V.
Unterstützer: Volkshochschule Region Kassel, Neue Richtervereinigung, Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Juristen, Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft Kassel Land und Kassel Stadt

Vorstellung des Aktionsplanes: Esther Dilcher (Bundestagsabgeordnete, SPD) Gesprächspartner: Dr. Rolf Gössner (Rechtsanwalt, Publizist und Kuratoriumsmitglied der Internationalen Liga für Menschenrechte), Dr. Dr. Maximilian Pichl (Vertretungsprofessur Politische Theorie, Universität
Kassel), Moderation: Armin Ruda (Medienprojektzentrum Offener Kanal Kassel)


Die Veranstaltung fand statt, allerdings nicht ganz wie geplant. Da die Bundestagsabgeordnete Esther Dilcher erkrankt war, konnte die Position der SPD zum Aktionsplan nicht vertreten werden. Stattdessen referierte Karl Bachsleitner von NACHGEFRAGT die wesentlichen Aussagen in dem 10-Punkte Aktionsplan.
Der Jurist Rolf Gössner und Dr. Dr. Maximilian Pichl bezeichneten übereinstimmend den Plan als „Diskussionsgrundlage“, also durchaus mit erwägenswerten Maßnahmen und Ansätzen ausgestattet. So sei etwa der Schutz von Mandatsträgern im lokalen Bereich dringend verbesserungswürdig, sagte Pichl.
Rolf Gössner hob als einen Gefahrenpunkt hervor, dass die Verschärfung der staatlichen Kontrolle des Beamtenapparats dazu führen könne, dass man wieder zu einer „Regelanfrage“ vor jeder Einstellung käme, wie in den unseligen Zeiten der Berufsverbotepraxis in den siebziger und achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts. Pichl stimmte zu und verwies auch auf den
Punkt der unklaren Definition von „Verschwörungserzählungen“, die jede Kritik an staatlichen Maßnahmen als „nicht verfassungsgemäß“ einordnen könnte. Der Unterschied gegenüber der Berufsverbote-Kampagne sei, dass nicht nur die Ablehnung der Verfassung zu Maßnahmen führen könne, sondern darüber hinaus auch die Ablehnung konkreten staatlichen Handelns.

Aus den Reihen der 64 Teilnehmerinnen und Teilnehmer kamen Anfragen zu den juristischen Grundlagen und der Umsetzung des Aktionsplans. Die
Referenten waren sich einig, dass bisher noch wenig von der Umsetzung bemerkt werden könne, allerdings sei zum Beispiel das bereits seit längerem diskutierte „Demokratie-Fördergesetz“ ein komplexes Vorhaben, bei dem Familienministerium, Justizministerium und Innenministerium zusammenwirken müssten.
Auf die Nachfrage einer Zuhörerin, ob es ein Land gebe, in dem man auf einen
Inlandsgeheimdienst verzichte, mussten beide Referenten zunächst passen. Allerdings, so Rolf Gössner, enthalte die Verteidigung der Demokratie durch einen Geheimdienst einen logischen Widerspruch, da ein Geheimdienst nicht demokratisch kontrollierbar sei. Das läge in der Natur der Sache. Hier verwies Pichl auf England, wo einige Skandale zu einer restriktiveren Praxis bei der Überwachung von Organisationen geführt hätten. Gössner berichtete von einer rot-grünen Periode in Niedersachsen, die von einer eingeschränkten Aufgabendefinition für den Verfassungsschutz geprägt war.
Pichl konstatierte, dass die diversen NSU-Untersuchungsausschüsse systematisches Versagen der 17 Ämter für Verfassungsschutz zu Tage gebracht hätten, und dass das System bezahlter (und z. T. offen krimineller) V-Leute bei der Mitfinanzierung rechtsextremer Netzwerke geholfen habe. Deshalb seien Pläne für einen Ersatz des Verfassungsschutzes durch ein ziviles
Forschungsinstitut in Thüringen diskutiert, jedoch nicht umgesetzt worden.
Bereits während der Diskussion und auch nach dem Ende der zweistündigen Debatte erhielten die Veranstalter Evangelisches Forum und NACHGEFRAGT viel Lob von den Teilnehmerinnen und Teilnehmern. Man könne sich jetzt ein besseres Bild von dem Aktionsplan machen, so eine Teilnehmerin. Die Veranstaltung helfe dabei, sich eine eigene Meinung über den Aktionsplan zu
bilden, sagte ein Teilnehmer.

Presseerklärung von NACHGEFRAGT zum NSU Aktenleak von ZDF Magazin Royale

„Dokument der gesammelten Ahnungslosigkeit“

Als „Dokument der gesammelten Ahnungslosigkeit“ bezeichnet die Kasseler Initiative NACHGEFRAGT die vom Hessischen Landesamt für Verfassungsschutz im Abschlussbericht zur Aktenprüfung im LfV Hessen Im Jahre 2012 die für zunächst 120 Jahre gesperrten Informationen.

„Auch bei genauerem Hinschauen ist nicht erkennbar, welche angeblich schutzwürdigen Interessen die Einstufung des Berichts als ‚geheim‘ gerechtfertigt haben“, kritisiert der Vorsitzende von NACHGEFRAGT, Horst Paul Kuhley, die nicht nachvollziehbare Sperrung gegen das Aufklärungsinteresse der Öffentlichkeit.

Die Kasseler Initiative hat nicht nur den jetzigen Lübcke-Untersuchungsausschuss, sondern auch den NSU-Untersuchungsausschuss der vorigen Wahlperiode begleitet. „In beiden Ausschüssen haben wir Zeuginnen und Zeugen aus dem Amt gehört, deren Aussagen es nahelegen, dass der Verfassungsschutz ziemlich ahnungslos über die Struktur und die Vernetzung der Rechtsextremisten in Nordhessen, Niedersachsen und Thüringen war“, so Kuhley. Es seien in dem jetzt öffentlich gemachten Bericht bekannte Namen von Rechtsextremisten aufgeführt, andere bekannte Rechtsextremisten fehlten jedoch.

„Worauf CDU und GRÜNE die Rechtfertigung für die Geheimhaltung stützen, ist nirgendwo erkennbar, es sei denn, das Komplettversagen des Landesamts sowohl beim NSU als auch bei der Verhinderung des Mordes an Walter Lübcke soll verdeckt werden“, kritisiert Kuhley. So wird der Name von Stephan Ernst in dem Abschlussbericht zwar mehrfach aufgeführt, die Aktenlage beim Verfassungsschutz zu Ernst endet jedoch offensichtlich in 2004, seine Verurteilung in 2010 wegen des gewalttätigen Angriffs auf eine DGB-Demonstration am 1. Mai 2009 sei offensichtlich nicht auf dem Schirm der Verfassungsschützer gewesen, obwohl ihn der ehemalige Präsident Eisvogel als ‚brandgefährlich‘ markiert hatte. Deshalb sei es wenig verwunderlich, dass Stephan Ernst an einem sicherheitsrelevanten Arbeitsplatz Kollegen rechtsradikal agitieren konnte und zusammen mit Markus H. in mehreren Vereinen einem Schießtraining nachgehen konnte, so Kuhley. „Ein Verfassungsschutz, der Akten von gewalttätigen Rechtsradikalen für die Aufklärungsarbeit unzugänglich macht, kann seinem Schutzauftrag nicht nachkommen, das ist die bittere Lehre aus dem nun öffentlichen Bericht“, stellt Kuhley abschließend fest.

Kritik an Versuch zur Abschreckung der Öffentlichkeit beim UNA    20/1 am 4.11.2022

Presseerklärung

  Kasseler Initiative NACHGEFRAGT für Demokratie, Aufklärung und
  Politische Bildung e. V.

 Als „Versuch zur Abschreckung der Öffentlichkeit“ kritisierte die Kasseler Initiative NACHGEFRAGT die Entscheidung des Ausschussvorsitzenden Christian Heinz (CDU), die nächste Sitzung des Untersuchungsausschusses UNA 20/1 (Dr. Walter Lübcke) an zwei verschiedenen Orten in Wiesbaden durchzuführen. Die Vernehmung des Mörders Stefan Ernst im Landgericht Wiesbaden führe de facto zur Begrenzung der Plätze von Presse und Öffentlichkeit auf 30 Personen. Es sei zu erwarten, dass dies bei der Vernehmung eines wichtigen Zeugen dazu führe, dass zwischen interessierten Bürgerinnen und Bürgern und der Presse das Los über die Zulassung entscheiden werde.

„Die Rechte von Öffentlichkeit und Presse werden so dem Zufallsprinzip geopfert“, kritisiert der Vorsitzende von NACHGEFRAGT, Horst Paul Kuhley, die vorhersehbare Platzbeschränkung.

Die Kasseler Initiative hat nicht nur den jetzigen Untersuchungsausschuss, sondern auch den NSU-Untersuchungsausschuss der vorigen Wahlperiode begleitet. „Dort ist eine inhaftierte Zeugin mit Hand- und Fußfessel im Ausschuss bei unbeschränkter Öffentlichkeit verhört worden“, so Kuhley. Es sei nicht nachzuvollziehen, warum die Sicherheitsbedenken diesmal größer sein müssten, zumal Ernst sich doch als Aussteiger aus der rechtsradikalen Szene bezeichne. „Die Abschreckung von Öffentlichkeit wird auf die Spitze getrieben, indem die restliche Ausschusssitzung dann wieder im Landtagsgebäude stattfinden soll,“ kritisiert Kuhley auch das ‚Hin und Her der Schauplätze‘ innerhalb eines Termins. Die Formel des Ausschussvorsitzenden ‚Rücksicht auf Walter Lübcke an seiner Wirkungsstätte‘ ins Feld zu führen, sei der Gipfel der Scheinheiligkeit, so Kuhley. Dr. Walter Lübcke sei ein mutiger Demokrat gewesen. Sein Andenken werde am besten durch mutige Demokratie vor Ort gewahrt und nicht durch vorgetäuschte Bedenkenträgerei.

Mit der Bitte um Veröffentlichung

Horst Paul Kuhley

Hier die veröffentlichte Presseerklärung…

Alles ist gut! – Bericht von der 33. Sitzung des Untersuchungsausschusses UNA 20/1 (Dr. Walter Lübcke) am 7.10.2022

In seiner 33. Sitzung am 7.10.2022 vernahm der Untersuchungsausschuss UNA 20/1 (Dr. Walter Lübcke) zwei Zeugen und zwei Zeuginnen aus dem Umfeld des Landesamts für Verfassungsschutz Hessen. Der ehemalige Präsident des Landesamts, Roland Desch, offenbarte sich als Zeuge von großer Ahnungslosigkeit und Erinnerungsschwäche. So behauptete er, seine Behörde habe alles getan, um eine Waffenbesitzkarte für Markus H., den Kumpel des Lübcke-Mörders Stefan Ernst, zu verhindern. „LfV Hessen versuchte, Erkenntnisse der Waffenbehörde zur Verfügung zu stellen. Was nicht von Erfolg gekrönt war.“ Das stellt die bekannten Tatsachen jedoch auf den Kopf. In Wirklichkeit hat die Kasseler Genehmigungsbehörde die Waffenbesitzkarte für H. verhindern wollen, ist jedoch vor dem Verwaltungsgericht gescheitert, weil der Hessische Verfassungsschutz seine Erkenntnisse über rechtsradikales Onlineverhalten von Markus H. dem Gericht nicht preisgab.

Auch ließ Desch ein Verfahren zu, in dem nach Bekannt-Werden des NSU in 2011 über tausend Akten von Rechtsradikalen für die Auswertung gesperrt wurden, unter ihnen die Akte von Stefan Ernst mit einem weit mehr als zehn Jahre langen Register von Gewalttaten und Verurteilungen. Erster einschlägig rechter Eintrag ist der rassistische (eventuell schwulenfeindliche) Messerangriff am Wiesbadener Hauptbahnhof 1992. Letzter einschlägiger Eintrag vor dem Mord war der Landfriedensbruch bei einer DGB-Demo am 1. Mai 2009 (Urteil 2010).

Um diese Sperrung ging es auch bei der Vernehmung des Zeugen Weidner, ehemaliger Mitarbeiter des Verfassungsschutzes, zuständig für Waffenbesitz von Rechtsradikalen. Er wurde zum zweiten Mal vernommen, weil er bei seinem ersten Erscheinen vor dem Ausschuss nur zum Thema Waffen befragt werden durfte. Die enge Auslegung des Beweisbeschlusses durch den Vorsitzenden verhinderte damals, dass er auch über Stefan Ernst befragt werden konnte. Nun bestätigte er die Angaben der Zeugin Rehwald aus dem Juli 2022, dass er sich gemeinsam mit ihr gegen die Sperrung von Ernsts Akte eingesetzt hatte. Er ging damals davon aus, dass sie ihre Bedenken auch schriftlich zu der Akte beigefügt hatte. Er jedenfalls habe Ernsts lange kriminelle und gewalttätige Karriere durch Computerausdruck aus den hessischen Datenbanken den zuständigen Sachbearbeitern zur Kenntnis gegeben, die sich über sein Votum hinweggesetzt hätten. Der entsprechende Vermerk, wie der von Rehwald, ist jedoch aus der Akte verschwunden. Der Abgeordnete Müller(CDU) ging den Zeugen damit an, dass er doch als Beamter hätte remonstrieren müssen. Sein Konterpart Müller (FDP) gab jedoch zu bedenken, dass das Remonstrationsrecht nur den eigentlichen Sachbearbeitern zugestanden hätte.

Die aktive Mitarbeiterin des Verfassungsschutzes, die als nächste vernommen wurde, bestätigte die Glaubwürdigkeit der Zeugin Rehwald, deren Angaben durch die Ausschussmitglieder Goldbach (Grüne) und Bellino (CDU) bei den Sitzungen im Juli in Frage gestellt worden waren. Frau NN (Anonymität zugesichert) schilderte die Aktenführung von Frau Rehwald als extrem korrekt und unglaublich differenziert, so dass sie sich nicht vorstellen könne, dass Rehwald den verschwundenen Vermerk gegen die Sperrung von Ernsts Akte überhaupt nicht angefertigt habe. Auch sei sie in allgemeiner Form mit Frau Rehwald darüber einig gewesen, wie man in einem solchen Fall verfahren solle, da sie einen gleichartigen Fall betreut habe, in dem es auch um einen radikalen Sprengstofftäter ging.

Als letzte Zeugin wurde Iris Pilling, Abteilungsleiterin im Landesamt für Verfassungsschutz vernommen. Vorherige Vernehmungsaufforderungen hatte sie jeweils durch eine Krankmeldung kurz vor der Sitzung abgewehrt. Sie war in den Jahren nach 2011 Amtsleiterin im Bereich Rechtsextremismus. Unter ihrer Leitung entwickelte Frau Rehwald ein Verfahren, mit dem über die Sperrung von Akten rechtsradikaler Täter in einem Listenverfahren zu ca. 1400 Namen entschieden wurde. Sie bestätigte, dass differenzierte Listen erstellt wurden und zum Beispiel über siebzigjährige Rechtsradikale pauschal gesperrt werden konnten. Über andere Sperrungen sei zwischen ca. 2014 und 2016 mit Hilfe der Akten entschieden worden, die karrenweise in ihrem eigenen Büro abgeladen worden seien. Die Akten seien entweder dort oder auch im Büro von Sachbearbeitern gelesen worden und abends jeweils von ihr eingeschlossen worden. Der Vermerk von Eisvogel über Ernst als „brandgefährlich“ und seine Notiz „Wie militant ist der aktuell?“ habe sicher bei ihr zu Gesprächen mit den Dezernatsleitern geführt, allerdings hätten offensichtlich keine neuen Erkenntnisse vorgelegen und Nachermittlungen seien wahrscheinlich nicht gemacht worden.

Fazit: Es ist verständlich, dass Eisvogel bei erster Gelegenheit das hessische Landesamt verließ, weil die politische Spitze nicht bereit war, die notwendigen Stellen und die notwendigen sachlichen Veränderungen zu genehmigen. Auch sein Nachfolger konnte nur drei seiner Verfassungsschützer im Bundesamt ausbilden lassen, alle anderen waren nach wie vor nur angelernte Verwaltungssachbearbeiter. Dass dies im Fall von Frau Rehwald trotzdem zu einer guten Ausbildung ihrer Nachfolgerin führte, war ihrer persönlichen Initiative geschuldet. Auch bei ihr muss man aber davon ausgehen, dass sie das Amt verließ, weil zum Beispiel im Fall von Stefan Ernst ihre kompetenten Einwände durch Dezernatsleitungen und Abteilungsleitungen wie Frau Pilling einfach vom Tisch gewischt wurden.

Als besondere Ironie muss man es beurteilen, dass ausgerechnet das Datenschutzinteresse von Rechtsradikalen als Begründung für die Sperrung ihrer Akten herhalten muss.

Man vergleiche die dauerhafte Bespitzelung von Sylvia Gingold mit der Sperrung der Akte von Stefan Ernst trotz der kriminellen Karriere, dann wird deutlich, dass der hessische Verfassungsschutz seit Jahrzehnten auf dem rechten Auge blind war und wahrscheinlich immer noch ist, weil kompetente Mitarbeiter/innen wie Frau Rehwald und Herr Weidner dort nur stören. Auch muss man CDU und Grünen im Ausschuss bescheinigen, dass sie ständig versuchen, sachlich kompetente Zeugen als unglaubwürdig darzustellen. Deshalb wird wahrscheinlich das Votum dieser Fraktionen zu den Ausschussergebnissen im kommenden Jahr darauf hinauslaufen: Alles ist gut!

Auf der Zielgeraden – Der Untersuchungsausschuss 20/1 (Dr. Walter Lübcke) im Hessischen Landtag

Der Untersuchungsausschuss 20/1 (Dr. Walter Lübcke) wurde im Sommer 2020 vom Hessischen Landtag in Wiesbaden mit einem einstimmigen Beschluss eingesetzt, um ungelösten Fragen zur rechten Szene in Nordhessen nachzugehen und Behördenversäumnisse im Zusammenhang mit dem Mord an Walter Lübcke aufzuarbeiten. Er hat inzwischen mehr als dreißig Mal, zumeist öffentlich, getagt und wird im Sommer 2023 einen Ergebnisbericht vorlegen. Noch immer aber gibt es zahlreiche offene Fragen, zu denen weitere Zeuginnen und Zeugen gehört werden sollen. Bis zum März 2023 sind folgende Termine geplant:

07. 10. 2022

04. 11. 2022

25. 11. 2022

14. 12. 2022

20. 01. 2023

23. 02. 2023

März 2023 (noch optional)

Beginn der öffentlichen Sitzungen ist in der Regel 9:30 Uhr. Man sollte sich rechtzeitig am Eingang Grabenstraße einfinden. Dort wird ab 9:00 Uhr auch ein Corona-Test angeboten, der jedoch derzeit (Stand 1.9.2022) nicht verpflichtend ist, ebenso wenig das Maske-Tragen.

Die Wahrnehmung von Bürgerrechten ist ein Eckpfeiler der Demokratie. Deshalb nehmen wir als Initiative NACHGEFRAGT schon seit Beginn der Beratungen die Möglichkeit wahr, an den öffentlichen Sitzungen im Untersuchungsausschuss als „Interessierte Öffentlichkeit“ teilzunehmen. Alle Bürgerinnen und Bürger haben das Recht, sich zu diesen Sitzungen anzumelden.

Das Anmeldeverfahren

Die Anmeldung ist digital mit einem Formular oder auch formlos unter dem Link una20-1@ltg.hessen.de möglich. Die Webseite mit den Anmeldemodalitäten wird etwa 8 – 10 Tage vor dem jeweiligen Ausschusstermin geöffnet (zu finden unter: „Anmeldung zum Lübcke-Untersuchungsausschuss am…“). Die Anmeldebestätigung mit Zusage eines Platzes erfolgt wenige Tage später, unmittelbar danach wird die Einladung mit Tagesordnung veröffentlicht. Die Anzahl der Plätze auf der Zuschauertribüne ist begrenzt, die Zahl der Interessierten in der Regel allerdings auch, sodass bisher alle unsere Anmeldungen berücksichtigt werden konnten.

Das öffentliche Interesse an der Arbeit des Untersuchungsausschusses hat inzwischen leider abgenommen, so dass es manchmal recht einsam auf der Zuschauertribüne ist. Ähnliches gilt für die Anzahl der Pressevertreter und die spärlicher werdende Berichterstattung in den Medien. Das ist auch für die Ausschussmitglieder enttäuschend, und das Desinteresse belastet sie. Andererseits sind die Abgeordneten interessiert an den Rückmeldungen der Öffentlichkeit zum Beispiel in Sitzungspausen oder per eMail.

Zugegeben: nicht immer ist die Teilnahme an den öffentlichen Ausschuss-Sitzungen vergnügungssteuerpflichtig. Manche Zeugenbefragungen gestalten sich zäh und die Tage in Wiesbaden werden oft lang. Für die Mitglieder von NACHGEFRAGT kommen je zweieinhalb Stunden für die Hin- und Rückfahrt hinzu. Noch immer ist aber auch mit überraschenden Erkenntnissen und unerwarteten Highlights zu rechnen, wie zum Beispiel dem schonungslos klaren Urteil eines früheren Verfassungsschutzchefs oder der anschaulichen Schilderung einer ehemaligen VS-Mitarbeiterin, welche die ganze Misere der ‚schnellen Aktenlöschungen‘ offenbarte.

Deshalb ermutigen wir alle Bürgerinnen und Bürger zur Teilnahme an den Sitzungen, um sich selbst ein Bild von der Arbeit der Abgeordneten und dem Verhalten der Zeugen zu verschaffen. Von Abgeordneten verschiedener Parteien ist uns versichert worden, dass die eigene Fragehaltung und die Nachdrücklichkeit bei der Zeugenvernehmung durch anwesende „Öffentlichkeit“ durchaus unterstützt wird.

Wenn Sie Interesse an einer Teilnahme und/oder Schwierigkeiten bei der Anmeldung haben, kontaktieren Sie uns unter initiativenachgefragt@gmx.de.

NACH DEM RECHTEN SEHEN unsere Beiträge am 12.8.2021

Unsere Veranstaltungen am 12.08.2021 
Im Festival NACH DEM RECHTEN SEHEN
Kulturzentrum Schlachthof

15:00 bis ca. 16:30 Uhr
Was bringt die Aufklärung voran? 
Landtagsabgeordnete aus dem Untersuchungsausschuss UNA 20/1 (Dr. Walter Lübcke) im Gespräch mit der Zivilgesellschaft

mit Hermann Schaus, Stefan Müller, Vanessa Gronemann (Abgeordnete im Untersuchungsausschuss), Miki Lazar (Petition Offenlegung der Akten)
Moderation: Armin Ruda (Offener Kanal Kassel)

Was wird aus der Petition für eine Offenlegung der Akten zum Behördenversagen in Hessen? Welche neuen Erkenntnisse können bei einer Offenlegung gewonnen werden? Was bringen die Zeugenvernehmungen von Nazis wie Stefan Ernst und Verfassungsschützern mit beschränkter Aussagegenehmigung wie Andreas Temme? 
In der Gesprächsrunde soll über die bisherigen Sitzungen des Untersuchungsausschusses und weitere Planungen berichtet werden. Bürgerinnen und Bürger können Fragen und Anregungen zur Ausschussarbeit formulieren.
Anmeldung workshopanmeldung-NDRS@gmx.de
(mit Name, Kontaktdaten und Veranstaltungstitel).


18:00 bis 19:30 Uhr
Jung, trendy, sympathisch – 
Rechte Influencerinnen im Netz

Vortrag und Diskussion mit Natascha Strobl 
(Politikwissenschaftlerin, Wien) 
Moderation: Marianne Huttel (NACHGEFRAGT)

Welche Bedeutung haben Frauen in der rechten Szene? Was macht diese Szene für Frauen attraktiv?
Wie arbeiten die rechten Influencerinnen? Welche Konsequenzen hat das für unser eigenes politisches Tun? Das Kontinuum rechtsradikaler Einstellungen bis hin zur Mitte der Gesellschaft soll beleuchtet werden. 

Anmeldung: workshopanmeldung-NDRS@gmx.de
(mit Name, Kontaktdaten und Veranstaltungstitel).

Die Veranstaltungen werden unterstützt durch das Evangelische Forum, den DGB Nordhessen und Arbeit und Leben e.V.

Presseberichte

Presseberichte über die Kasseler Initiative NACHGEFRAGT

(Hessisch-Niedersächsische Allgemeine) 

Yozgat-Mord: Welche Rolle spielte Temme?

  • HLZ 04/2017

(Zeitschrift der GEW Hessen)

Kassel: NSU-Aufklärung kommt nicht voran

  • HLZ 06/2017

Kasseler Initiative fragt nach – Temme arbeitet weiter in der Personalabteilung des RP Kassel

  • FR 25.8.2017

(Frankfurter Rundschau)

Schluss mit dem Schutz – Zwei Kasseler Initiativen wehren sich gegen den schonenden Umgang des Staates mit Andreas Temme

  • HLZ 08/2017

NSU-Untersuchungsausschuss: Diskussion am 21.9. in Kassel

  • HNA 20.9.2017

Initiative will Temmes Suspendierung

  • HNA 23.9.2017

Das bleibt vom NSU-Ausschuss

  • HLZ 11/2017

NSU-Untersuchungsausschuss arbeitet weiter

  • HLZ 12/2017

Kassel: Initiative Nachgefragt

  • Gießener Anzeiger 14.3.2018

„Bouffier hält seine Hand über ihn“

NSU-MORDE – Kasseler Aktivisten berichten im Georg-Büchner-Club über Ungereimtheiten und Widersprüche im Fall Halit Yozgat

  • FR 23.08.2018

Stiftung soll NSU-Aufklärung fortsetzen

  • HNA13.09.2018

Diskussion um Rolle des Verfassungsschutzes

  • HNA 26.11.2018

Yozgat-Preis: OB weist Kritik zurück

  • FR 28.11.2018

Kassel will allein an Halit Yozgat erinnern

  • Extra Tip 28.11.2018

OB-Alleingang? – Yozgat-Preis: Initiativen üben Kritik

  • HLZ 12/2018

Verfassungsbruch durch Verfassungsschutz“

  • HNA 31.03.19 12:43

Politiker diskutierten in Kassel über die Folgen des NSU-Prozesses

  • HLZ 3/2019

Lehren aus den NSU-Morden – Diskussion in Kassel am 28.März

  • HNA 06.04.19 16:01

Todestag von Halit Yozgat: 250 Menschen demonstrieren in Kassel gegen Rassismus (Demobild mit Thomas Jansen)

  • HLZ 5/2019

Kassel: Konsequenzen aus dem NSU-Terror

  • Der Tagesspiegel 19.6.2019

Furchtbar normal (Sebastian Leber)

  • Junge Welt 24.10.2019

Hintergrund: Schwarz-grüne und andere Loyalitäten

  • GEW Hessen Internetseite 22.10.2019

Nordhessische Neonazis – Gefahr durch rechte Netzwerke

  • Zeit online 12.08.2020

Kiyaks Deutschstunde / Rechtsterrorismus: Die Täter sollen reden
Eine Kolumne von Mely Kiyak

Redebeitrag der Initiative NACHGEFRAGT