Unsere 1. Veranstaltung 2017: NSU-Aufklärung kommt nicht voran – Mordzeuge Temme liest unsere Akten. Weiter so?
Auf das Konto des sogenannten NSU gehen wahrscheinlich 10 Morde sowie zwei Sprengstoffattentate. Vor dem OLG München mussten sich seit Mai 2013 Beate Zschäpe und weitere Helfer wegen Mittäterschaft bzw. Unterstützung einer terroristischen Vereinigung verantworten. Seit Juli 2014 existierte auch im Hessischen Landtag ein Untersuchungsausschuss. In diesem ging es um die NSU-Kontakte in Hessen und um die Frage, welche Fehler bei der Aufklärung des Kasseler Mordes gemacht wurden.
Untersuchungsgegenstand war ebenfalls die Rolle des ehemaligen Verfassungsschützers Andreas Temme, der beim Mord an Halit Yozgat 2006 in der Holländischen Straße in Kassel am Tatort anwesend war.
Beim hessischen Verfassungsschutz war der Beamte Andreas Temme nicht mehr tragbar, weil er sich, obwohl Mordzeuge, nicht bei der Polizei gemeldet hat. Seit einiger Zeit bearbeitet er jedoch beim Regierungspräsidium Kassel vertrauliche Personalakten pensionierter Beamtinnen und Beamter. Zahlreiche Kolleginnen und Kollegen sind der Meinung, dass diese Tätigkeit Temmes nicht stillschweigend hinzunehmen ist.
Ein großartiger Erfolg war die Veranstaltung ‚NSU-Aufklärung kommt nicht voran – Mordzeuge Temme liest unsere Akten – Weiter so?‘ zu der die Kasseler Initiative zusammen mit der Bildungsgesellschaft lea der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft an die Universität Kassel eingeladen hatte. Bei der Veranstaltung am Mittwoch, dem 22. Februar 2017, waren ca. 160 bis 170 Personen aller Alters- und vieler Berufsgruppen anwesend, unter ihnen auch der Vorsitzende des Ausländerbeirats Kamil Saygin und Stadtverordnete von Grünen und Linken. Der Hörsaal an der ehemaligen Ingenieurschule war brechend voll.
Für den Moderator Prof. Dr. Bernd Overwien (Universität Kassel) und die Referentin Sonja Brasch von NSU-Watch dienten die von der Kasseler Initiative vorbereiteten Fragen als Richtschnur. Im Referat von Frau Brasch standen drei Komplexe im Vordergrund: Der sogenannte NSU und seine Mordtaten, die Arbeit des hessischen NSU-Untersuchungsausschusses und die vielen Ungereimtheiten bei der Aufklärung der Rolle des ehemaligen Verfassungsschützers Andreas Temme.
Dessen jetzige Beschäftigung als Bearbeiter von vertraulichen Personalakten im Regierungspräsidium Kassel wurde in der folgenden Diskussion heftig kritisiert. In der sehr diszipliniert und sachlich geführten Debatte stellte sich schnell ein Konsens her, dass der von der Initiative vorgelegte Fragenkatalog weiter verfolgt werden soll. Die Fraktionen im hessischen Landtag und der Regierungspräsident sollen um Unterstützung bei der Klärung gebeten werden. Vom Landtagsabgeordneten Jürgen Frömmrich (Grüne) liegt der Initiativgruppe bereits eine Einladung zu einer Sitzung des Untersuchungsausschusses in Wiesbaden vor. Von vielen Rednerinnen und Rednern wurde jedoch zusätzlich der dringende Wunsch geäußert, eine Resolution zu verabschieden. Die Abstimmung ergab dann eine fast einstimmige Unterstützung (bei nur zwei Gegenstimmen) für folgende Aufforderung an den Regierungspräsidenten Dr. Walter Lübcke:
„Die mehr als 160 Anwesenden bei der Veranstaltung ‚NSU-Aufklärung kommt nicht voran. – Mordzeuge Temme liest unsere Akten. Weiter so?‘ fordern, dass der ehemalige Verfassungsschützer Andreas Temme nicht mehr in der Pensionsregelungsbehörde oder vergleichbar vertraulichen Tätigkeitsbereichen des Regierungspräsidiums Kassel arbeiten darf. Insbesondere soll er zukünftig daran gehindert werden, Einblick in Personendaten zu nehmen.“
Die verabschiedete Resolution ist auch gerichtet an die Stadtverordnetenfraktionen in der Stadt Kassel und die Kreistagsfraktionen im Landkreis Kassel (mit Ausnahme der AfD) und die Landtagsfraktionen mit der Bitte, diese Resolution zu unterstützen, um den Regierungspräsidenten in Kassel dazu zu bewegen, seinen Mitarbeiter Temme anderweitig zu beschäftigen.
Aus den Reihen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer kam auch der Wunsch nach einer Folgeveranstaltung in einem nochmals erweiterten Kreis, da wahrscheinlich auch die Akten von Polizisten und Richtern von Temme bearbeitet werden. Der dann erzielte Informationsstand soll im Herbst erneut in einer Veranstaltung vorgestellt werden.
Zitat aus dem verabschiedeten Fragenkatalog:
„An den Regierungspräsidenten Dr. Lübcke richtet sich dabei vor allem die Frage, ob ein Mensch als Personalsachbearbeiter tragbar ist, der nach Aussagen seiner Vorgesetzten für den Verfassungsschutz ungeeignet ist und von Ausschussmitgliedern und Zeugen der Untersuchungsausschüsse in Berlin und Wiesbaden als persönlich und charakterlich unzuverlässig eingeschätzt wird.“
Es gibt keinen Nachweis für die Tatbeteiligung des NSU-Trios am Mord von Halit Yozgat außer der Pistole und der Sebstbezichtigung.
Die Einloggdaten belegen, dass der Verfassungsschützer Andreas Temme zur Tatzeit am Tatort war.
Andreas Temme ist vor dem Mord an H.Yozgat von seiner Vorgesetzten mit einer eMail auf die Ceska-Waffe hingewiesen worden und hat die dienstliche Anweisung an die Mitarbeiter, ihre V-Personen nach Erkenntnissen über die Mordserie zu befragen, gegengezeichnet.
Im Bundestagsuntersuchungsausschuss jedoch lügt Temme diesbezüglich. Am 11.03.2013 gibt Temme dort auf die Frage nach Kenntnissen über die Mordserie vor dem Mord an H.Y zu Protokoll: „Nein, dienstlich war dies kein Thema.“
Iris Pilling hat die Echtheit von Temmes Unterschrift auf der Mail in der nächsten Sitzung des hessischen Untersuchungsausschusses am 24.03 2017 bestätigt.
Obwohl Temme sich der polizeilichen Untersuchung zunächst trotz Anwesenheit am Tatort zur Tatzeit entzogen hatte und obwohl dem LfV weitere Dienstverstöße bekannt waren (u.a. Besitz illegaler Munition und illegaler Drogen, Aufbewahrung rechtsextremer Schriften, Kontakte zu den Hells Angels), gab es kein echtes dienstrechtliche Disziplinarverfahren gegen Temme.
Nur die Veröffentlichung der Zusammenhänge in der BILD-Zeitung im Juli 2006 verhinderte, dass Temme wieder in den Dienst übernommen wurde.
Stattdessen wurde Temme an das Regierungspräsidium in-Kassel versetzt und zum Amtmann befördert.
Es ist unklar, wer die Entscheidung über Temmes jetzige Beschäftigung in der Pensionsregelungsbehörde für Lehrer, Polizisten und Richter fällte. Nach Ansicht des damaligen Referatsleiters Scholz sollte er einen „Arbeitsplatz ohne Publikumsverkehr bekommen.
Zusammen mit der noch stärker angewachsenen Interessengruppe von Bürgerinnen und Bürgern wird die Initiative weiter an der Aufarbeitung der Ungereimtheiten und der zu ziehenden Konsequenzen arbeiten.