Kasseler Initiative NACHGEFRAGT e. V. – Für Demokratie, Aufklärung und politische Bildung
Jahresrückblick 2020
Liebe Mitglieder von NACHGEFRAGT e. V.,
unser erstes „vollständiges“ Vereinsjahr 2020 war gleich ein sehr besonderes. In der Folge der „Kasseler Erklärung“, die kurz vor dem Jahreswechsel am 14.12.2019 in der HNA erschien, bahnte sich eine kontinuierliche Zusammenarbeit mehrerer Organisationen und Personen für die Planung einer Veranstaltung im Sommer 2020 an. Ein Fest auf dem Rainer-Dierichs-Platz vor dem Kulturbahnhof sollte verschiedenen Demokratie-Initiativen die Gelegenheit geben, sich zu präsentieren. „Kick Rechts weg“, organisiert vom Kasseler Jugendring, wollte ein Fußballturnier für Freizeitkicker anbieten. Und Abgeordnete des Hessischen Landtags beabsichtigten über die Arbeit des neu zu gründenden Untersuchungsausschusses zum Behördenversagen im Fall des Mordes an Dr. Walter Lübcke (UNA 20/1) zu informieren. Als Termin war der 27.6.2020 geplant. In Vorbereitung darauf führte der Vorstand der Initiative Gespräche mit Torsten Felstehausen, MdL und Günter Rudolph, MdL. An den Vorbereitungen waren auch die Ansprechpartner im Kulturbahnhof (Caricatura, Offener Kanal, Bali-Kinos etc.) und die Initiative „Nach dem Rechten sehen“ sowie die evangelische und die katholische Kirche beteiligt.
Durch den Anschlag von Hanau am 19. Februar, bei dem ein Rechtsterrorist neun Menschen auf der Straße, in Shisha-Bars und später seine eigene Mutter und sich selbst tötete, wurde erneut bestätigt, wie wichtig die Arbeit an einem gesellschaftlichen Konsens gegen rechte Gewalttäter ist.
Unsere Mitgliederversammlung fand wie geplant am 6. März im Stadtteilzentrum Vorderer Westen statt. Dort wurde vom Vorstand die Jahresplanung vorgestellt und es wurden Verabredungen für die Weiterarbeit getroffen.
Dann kam Corona.
Es war schwierig, eine politische Gesprächskultur aufrecht zu erhalten. Treffen in kleinen Gruppen waren zunächst nur mit Abstand und im Freien möglich. Vorstandssitzungen wurden im ersten „Lockdown“ als Telefon- oder Videokonferenzen abgehalten. Trotzdem gelang es, mit der Friedrich-Ebert-Stiftung und den Kopiloten die Konzipierung eines Fortbildungs-Moduls gegen Hatespeech im Netz zu vereinbaren, das in den Grundzügen gegen Ende 2020 zur Verfügung stehen sollte (und auch gegen Ende 2020 fertig wurde).
Wir brachten die Idee eines Gedenkgottesdienstes für Dr. Walter Lübcke in die erste Präsenzsitzung des Arbeitskreises „Kultur gegen Rechts“ nach dem ersten „Lockdown“ ein. Sie stieß dort auf spontane Zustimmung. Auch die Familie Lübcke empfand die Idee als eine Unterstützung ihrer Trauerarbeit. Innerhalb kürzester Zeit wurde ein ökumenischer Gottesdienst in der katholischen Kirche Sankt Elisabeth vorbereitet und am 4.6.2020 realisiert. Aufgrund der Corona-Pandemie und der strengen Schutzbestimmungen war der Gottesdienst nur mit sehr begrenzter Teilnehmerzahl und nach Voranmeldung möglich. Für den von Pastoralreferent Stefan Ahr und Dekan Dr. Gernot Gerlach gestalteten Gottesdienst gab es eine musikalische Begleitung durch Regionalkantor Thomas Pieper (Orgel) und Judith Gerdes (Oboe). Neben der Familie Lübcke und den Demokratie-Initiativen waren viele Vertreter des politischen Lebens in Kassel gekommen, an ihrer Spitze Justizministerin Eva Kühne-Hörmann und Regierungspräsident Hermann-Josef Klüber. Im Anschluss an den Gottesdienst nutzten viele Gäste die von NACHGEFRAGT zur Verfügung gestellten weißen Nelken, um sie im Gedenken an Dr. Walter Lübcke am Regierungspräsidium Kassel niederzulegen.
NACHGEFRAGT beteiligte sich im Sommer 2020 an dem Aufruf „Demokratie stärken“, in dem Demokratie-Initiativen aus Hessen mit einem 10-Punkte Katalog mehr Engagement der hessischen Landesregierung und des Landtags bei der Bekämpfung rechtsradikaler und rassistischer Gewalt einfordern.
Die kontinuierlichen Gespräche im Kulturarbeitskreis führten zu einer engeren Zusammenarbeit von NACHGEFRAGT mit „Nach dem Rechten sehen“. In dem dreitägigen Festival vom 9. bis 11. September in der Kasseler Nordstadt übernahm unser Verein die Gestaltung eines Programmteils am 10.9.2020. Drei Angebote wurden realisiert: In einer ersten Runde diskutierten die Landtagsabgeordneten Nancy Faeser und Hermann Schaus mit Gerald Warnke und Sonja Brasch, moderiert von Lotte Laloire (Response), über die Perspektiven des Untersuchungsausschusses zum Mord an Dr. Walter Lübcke. Hier wurde die maximale Besucherzahl des großen Veranstaltungssaals im Kulturzentrum Schlachthof unter Beachtung der Hygiene-Bedingungen ausgeschöpft. Die Abgeordneten und die Experten sahen Anzeichen dafür, dass für den neuen Untersuchungsausschuss mit einer besseren Zusammenarbeit zwischen den Fraktionen des Landtags zu rechnen sein könnte, als dies im NSU-Ausschuss der vorigen Landtagsperiode der Fall war. Zuschauerfragen machten deutlich, dass das Interesse der Öffentlichkeit an der Arbeit des Ausschusses groß sein wird. Im Anschluss an die Podiumsdiskussion wurden in einem Gespräch im kleinen Kreis die Modalitäten der Zusammenarbeit zwischen NACHGEFRAGT und den Landtagsabgeordneten diskutiert.
Für das Programm des Kasseler „Herrenkonfekts“ war der Zuschauerandrang nicht sehr groß. Allerdings waren die beiden Protagonisten erfreut, überhaupt einen kulturellen Beitrag leisten zu können und ein (kleines) Honorar von NACHGEFRAGT zu erhalten.
Großen Andrang gab es ebenfalls für die dritte Veranstaltung am 10. September „Nur Männersache? Frauen in der extremen Rechten“, in der Sonja Brasch eine Übersicht über die Rolle der Frauen bei den Rechten in Nordhessen und in den angrenzenden Bundesländern gab. Sehr viele junge Frauen waren im Publikum vertreten. Es wurde deutlich, dass dieses Thema bisher zu wenig Beachtung gefunden hat. Als Konsequenz hat sich eine Arbeitsgruppe bei NACHGEFRAGT gebildet, die in 2021 weitere Veranstaltungen über Frauen in der Neuen Rechten plant, zum Beispiel über „rechte Influencerinnen auf Youtube“.
Parallel zum Festival wurde am 10.9.2020 ein Interview von Lukas Kiepe mit Torsten Felstehausen zur Arbeit des Lübcke-Ausschusses im Offenen Kanal durchgeführt, initiiert von NACHGEFRAGT. Für eine zweite Diskussionsveranstaltung über den Untersuchungsausschuss im Offenen Kanal mit Günter Rudolph und Vanessa Gronemann, moderiert von Lukas Kiepe, trug dann das Evangelische Forum die Verantwortung. Michael Lacher (NACHGEFRAGT) war als Experte dazu geladen. Zwischen NACHGEFRAGT und dem Evangelischen Forum wurde vereinbart, in 2021 eine abwechselnd zu organisierende Sendereihe über den Untersuchungsausschuss (UNA 20/1) zu gestalten.
Die beiden Vorsitzenden des Vereins beteiligten sich an einem Bildungsträgerworkshop der Friedrich-Ebert-Stiftung, der am 23.September 2020 in Frankfurt am Main stattfand. Dort wurden Konzepte für eine Bildungsarbeit diskutiert, die unter den eingeschränkten Corona-Bedingungen und mit medialer Unterstützung stattfinden muss.
Schließlich gelang es sogar, eine Jahreshauptversammlung von NACHGEFRAGT e. V. am 23.10.2020 in den Räumen des Offenen Kanals durchzuführen. Sie war aus vereinsrechtlichen Gründen notwendig, um die dauerhafte Anerkennung der Gemeinnützigkeit zu erreichen. Es konnten jedoch auch die Perspektiven der Arbeit für 2021 vorgestellt und Planungen beschlossen werden. So wird der Verein sich mit der Sprache und den Strategien der „Neuen Rechten“ in einer Veranstaltung beschäftigen, für die die österreichische Expertin Natascha Strobl bereits zugesagt hat. Die oben beschriebene Veranstaltungsreihe zu „rechten Frauen“ wird weiter vorbereitet, eine der Veranstaltungen soll wieder im Rahmen des Festivals „Nach dem Rechten sehen“ stattfinden. Die Planung eines Kulturtags auf dem Rainer-Dierichs-Platz soll fortgesetzt werden.
Die Sitzungen des Arbeitskreises „Kultur gegen Rechts“ finden weiter statt, entweder in Präsenz oder online als Video-Konferenz. Das Gleiche gilt für die Vorstandssitzungen von NACHGEFRAGT e. V. Unter erschwerten Bedingungen wird auch die Begleitung des Untersuchungsausschusses fortgesetzt werden. Auch an der virtuellen „Zukunftskonferenz“ des DGB am 7.11.2020 nahmen mehrere Vorstandsmitglieder teil. Ein Gespräch über gemeinsame Vorhaben mit dem DGB wird am Beginn von 2021 stattfinden. Nicht zuletzt auf Druck unseres Vereins wird auch eine (begrenzte) Zahl von Zuschauern bei den Sitzungen des Ausschusses anwesend sein können, nachdem in 2020 gar keine Besucher im Landtag zugelassen waren.
Für den Vorstand
Horst Paul Kuhley und Elisabeth Gessner