Arbeitsschwerpunkt Politische Bildung

Wann, wenn nicht jetzt!

Wo und wie fängt man es an, ein Bildungsangebot  zu aufzubauen, das zur ‚demokratischen Teilhabe ermutigt‘ und ‚Menschen befähigt, sich kritisch mit rechter Propaganda auseinanderzusetzen‘? Angesichts der Fülle, vor allem aber der Dringlichkeit möglicher Ansatzpunkte gibt es dafür keine einfachen oder gar eindeutigen Lösungen. Leichter ist dagegen die Frage nach dem ‚Wann‘ zu beantworten: Wann, wenn nicht jetzt!? 

Ein flotter Slogan, vielfach zitiert und verwendbar in den unterschiedlichsten Zusammenhängen, immer dann, wenn Veränderung, Verbesserung, Weiterentwicklung  angesagt ist. Nicht zuletzt lautete so das Motto einer Tagung zur Politischen Bildung im Herbst 2018 in der Evangelischen Akademie Hofgeismar, aus der auch die ‚Hofgeismarer Erklärung‘  hervorgegangen ist. Die Bestandsaufnahme, die bei dieser Tagung vorgenommen wurde, kam zu einem recht deprimierenden Ergebnis: die formale Politische Bildung wurde in Hessen in den letzten Jahrzehnten heruntergewirtschaftet, kaputtgespart oder zur gefälligen Unkenntlichkeit umdefiniert. In den Schulen findet sie nur noch am Rande statt und auch die ehemals blühende außerschulische Bildung darbt vor sich hin (einzelne kleine ‚Leuchtturmprojekte‘ ausgenommen, aber die machen die bildungspolitische Nacht nicht hell genug). 

Die Konsequenzen sind augenfällig. Politisches Interesse und gesellschaftliches Engagement lassen deutlich nach. Gleichzeitig schwindet die Fähigkeit zur kritischen Auseinandersetzung mit einer exorbitant wachsenden Informationsfülle, vor allem in den digitalen Medien. Dies betrifft keineswegs nur Jugendliche. Aus der erschreckenden Geschwindigkeit und Aggressivität, mit der sich Emotionalisierungskampagnen und Hassreden im Netz ausbreiten, resultierte für uns deshalb ein dringlicher  Handlungsbedarf im Themenfeld Hate Speech/Hate Breach. Auch wenn überproportional viele unserer aktiven Mitstreiter/innen aus dem Lehrerberuf kommen, sahen wir die vorrangige Adressatengruppe für entsprechende Bildungsangebote zunächst im Bereich der Erwachsenenbildung. 

Hate Speech und Hate Breach – Bildungsangebote für Schulen der Region

Eine Anfrage aus der Alten Landesschule in Korbach (ALS) führte allerdings zu einem klassischen Workshop-Angebot für Schülerinnen und Schüler der Sekundarstufe I. Als Kooperationspartner konnten wir dafür die Kopiloten e. V. gewinnen. Mit vielfältigen Erfahrungen aus ihrem erprobten Hatebreach – Programm haben sie im November 2019 an der ALS einen handlungsorientierten Workshop für die Jahrgangsstufe 8 organisiert, der nicht nur der Sensibilisierung für Ursachen und Formen digitaler Hasskampagnen diente, sondern auch Gegenstrategien aufzeigen sollte. Die Rückmeldungen zu diesem Pilotprojekt waren positiv. Eine längerfristige Zusammenarbeit mit der ALS deutete sich an, und es gab Interesse von anderen Schulen aus dem Landkreis. Wir hofften, auch perspektivisch ein strukturiertes Angebot für Schulen ermöglichen zu können.

Aber dann kam Corona – und damit das vorläufige Aus für schulische Präsenzangebote, zumal  in der Zusammenarbeit mit außerschulischen Bildungsträgern. Die weitere Entwicklung ist immer noch nicht absehbar. Da aber schulische Workshops zum Thema Hatespeech, obwohl – oder gerade weil –  sie Elemente der digitalen Kommunikation fokussieren, unserer Meinung nach nicht vorrangig instruktiv sein dürfen und deshalb auch nicht ohne unmittelbare Interaktion auskommen, liegt die Zusammenarbeit mit Schulen zunächst einmal auf Eis. Wir warten ab, bis auch analoge Begegnungen wieder möglich sind. 

Ein strukturiertes Bildungsangebot für junge Erwachsene

Nicht nur in dieser Situation hat sich die von Beginn an vereinbarte Begleitung durch die Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) als sehr hilfreich erwiesen. Wir freuen uns über Ermutigung und manch guten Rat zur rechten Zeit. Hinweise aus der FES halfen uns zum Beispiel, die coronabedingte Unterbrechung unserer Zusammenarbeit mit Schulen nicht nur als Verlust, sondern auch als Chance zu begreifen, uns verstärkt der Zielgruppe ‚Junge Erwachsene‘ zuzuwenden und damit an unsere ursprüngliche Positionierung in der Erwachsenenbildung anzuknüpfen. Junge Erwachsene – so zeigen nicht nur die Studien der FES – sind  diejenige Zielgruppe, die durch die vorhandenen politischen Bildungsprogramme kaum angesprochen wird. Der formalen schulischen Bildung sind sie entwachsen, die traditionellen Angebote der Erwachsenbildung durch Vereine, Gewerkschaften oder etwa die VHS erreichen sie noch (?) nicht. Gleichzeitig ist diese Generation in den ‚Echokammern‘ des Internet, in den Kommentarfunktionen, Messenger-Diensten, Foren oder Sozialen Netzwerken besonders aktiv vertreten. 

Es liegt also nahe, ein adressatenbezogenes, spezifiziertes Bildungsangebot für diese Gruppe zu entwickeln. Eine Herausforderung wird darin bestehen, analoge Umsetzungsmöglichkeiten zu definieren und/oder Formate des Blended Learning zu erarbeiten, die auch Präsenzphasen explizit einschließen. Denn: ohne die unmittelbare Kommunikation, ohne direkte Begegnung, ohne realen Diskurs und Erfahrungslernen geht es nicht – gerade wenn demokratische Teilhabe, Selbstwirksamkeit und soziale Sensibilisierung zu den zentralen Bildungszielen gehören.

Eher mittelfristig einzuordnen sind unsere Überlegungen zur Entwicklung von Bildungsmodulen für Multiplikatoren in der betrieblichen Ausbildung. Grundsätzlich können wir uns auch vorstellen an Angeboten zur Stärkung demokratischer Teilhabe im ländlichen Raum mitzuwirken, optional in Zusammenarbeit mit Institutionen, die schon länger in dieser Hinsicht aktiv sind (wie z. B. die Adam-von Trott-Stiftung). Aktive Mitarbeit in jeder Form, konstruktiver Rat und gute Ideen gerne erwünscht!

Von großen Einzelveranstaltungen zu thematischen Reihen – unser Veranstaltungsprogramm

Auch unsere großen öffentlichen Veranstaltungen haben zur politischen Bildung beigetragen, selbst wenn sie nicht dezidiert unter den Gesichtspunkten eines ‚Bildungs‘anspruchs im engeren Sinne konzipiert waren. Als Informations- und Diskussionsangebote waren sie vor allem Bestandteil der öffentlichen Meinungsbildung. Sie dienten der Aufklärung über neonazistische Strukturen und boten sowohl parlamentarischen Gremien wie dem NSU-Untersuchungsausschuss als auch Journalisten und zivilgesellschaftlichen Rechercheuren die Möglichkeit, ihre Erkenntnisse publik zu machen und dadurch notwendige Debatten anzustoßen. 

Seit 2017 haben wir in lockerer Folge insgesamt fünf solcher Veranstaltungen organisiert (siehe auch Veranstaltungen); in der Regel in den Räumen der Universität Kassel, alle mit großer öffentlicher Resonanz und weit über 100 Teilnehmerinnen und Teilnehmern. Bewährte Kooperationspartner waren dabei auch andere Bildungsträger wie die GEW und die Volkshochschule Kassel. Thematisch haben wir uns im Sinne unserer politischen Ziele mit verschiedenen Aspekten der rechten Szene in Nordhessen und den angrenzenden Regionen beschäftigt, die Arbeit der NSU-Untersuchungsausschüsse in Hessen und im Bund vorgestellt, vor allem aber mehrfach das Behördenversagen bei der Aufklärung rechter Gewalttaten und die Rolle des Verfassungsschutzes kritisch beleuchtet. Da wir durchgehend Expertinnen und Experten aus parlamentarischen Untersuchungsausschüssen sowie qualifizierte journalistische Fachleute auf unseren Podien zu Gast hatten, konnten wir einschlägiges Wissen und manchmal sogar Informationen aus erster Hand vermitteln. Die Perspektive der Opfer von rechter Gewalt wurde  besonders authentisch von der in doppelter Weise betroffenen Anwältin Seda Basay-Yildiz und einem erfahrenen Mitarbeiter des Mobilen Beratungsteams Hessen eingebracht. 

Schon unter Corona-Bedingungen und mit deshalb deutlich eingeschränkter Teilnehmer/innenzahl haben wir uns im September 2020 mit kleineren Angeboten an dem Festival von ‚Nach dem Rechten sehen‘ beteiligt (siehe Veranstaltungen). Dabei ging es einerseits um den neuen parlamentarischen Untersuchungsausschuss ‚UNA 20/1 – Dr. Walter Lübcke‘, insbesondere um Hintergrundwissen über dessen erschwerte Startbedingungen, andererseits um einen ersten Einblick in die genderspezifische Thematik von ‚Frauen in der rechten Szene‘.

Alle bisherigen Veranstaltungen waren ausdrücklich an unseren allgemeinen politischen Ziele orientiert (s. o.). Gleichzeitig haben wir bei der Organisation zeitnah auf aktuelle Entwicklungen und Ereignisse reagieren und damit ein für uns zentrales Arbeitsprinzip bisher gut umsetzen können: Zielklarheit, Offenheit und Flexibilität in guter Balance! 

Wie geht es weiter? 

Diesem Prinzip möchten wir auch in Zukunft folgen. Wir freuen uns sehr, dass inzwischen wieder Präsenzangebote möglich sind, wenn auch vorläufig noch nicht in der gleichen Größenordnung wie früher. Im Sinne der Nachhaltigkeit sind wir zunehmend dazu übergegangen, statt singulärer Großveranstaltungen thematische Reihen in jeweils überschaubarem Rahmen zu definieren. Konkret sind für das aktuelle Programmjahr folgende Veranstaltungsreihen geplant:

In einer Gesprächsreihe, die  vom „Offenen Kanal Kassel“ aufgezeichnet und gesendet wird, begleitet die Initiative weiterhin kontinuierlich die Arbeit des Hessischen Untersuchungsausschusses UNA 20/1 (Dr. Walter Lübcke). Dabei haben Landtagsabgeordnete die Gelegenheit, über ihre Arbeit im Ausschuss zu berichten, mit Vertretern der Zivilgesellschaft ins Gespräch zu kommen und Fragen und Anregungen von Bürgerinnen und Bürgern für ihre Arbeit aufzunehmen. Als Gäste werden auch zukünftig Mitglieder des Untersuchungsausschusses aus den demokratischen Parteien sowie engagierte Bürgerinnen und Bürger eingeladen.

Eine zweite Serie von Veranstaltungen befasst sich mit Frauen in der rechten Szene. Sie begann mit einer Einführung in die Problematik von Sonja Brasch (NSU-Watch) bereits in 2020 und wird in 2021 zu spezifischen Aspekten fortgesetzt, zum Beispiel zu den Strategien rechter Influencerinnen und zu Rollenmustern und Aktionsformen von Frauen in der rechten Szene. Referentinnen sind ausgewiesene Expertinnen wie Natascha Strobl (Politikwissenschaftlerin, Wien) und Michaela Köttig (Konfliktforscherin, Professorin an der Frankfurt University of Applied Science). 

Eine Reihe zum Thema ‚Rechtsterrorismus als Herausforderung staatlichen Handels‘ beginnt am 30. 09. 2021 mit einer Buchvorstellung des Autors und Rechtsextremismusexperten Martín Steinhagen und wird und im Frühjahr 2022 mit dem Journalisten Ronen Steinke (SZ) zur Rolle der Justiz im Kampf gegen Rechts fortgesetzt.

Die genannten Veranstaltungsserien gehen als Beiträge von NACHGEFRAGT in die vom Evangelischen Forum Kassel sowie weiteren Kooperationspartnern ausgerichtete Jahresreihe ‚Demokratie stärken – Gegen Hass und Terror‘ ein, sollen aber auch eigenständig weiterentwickelt werden. Einzelne Veranstaltungen wurden zudem im Sommer 2021 wiederum im Rahmen des jährlichen Festivals ‚Nach dem Rechten sehen‘ organisiert. Durch die Beteiligung an variierenden  Kooperationsverbünden  können wir  unterschiedliche Zielgruppen erreichen und hoffen, so zu einem lebendigen politischen Diskurs beizutragen. 

Wann, wenn nicht jetzt!

Wo und wie fängt man es an, ein Bildungsangebot  zu aufzubauen, das zur ‚demokratischen Teilhabe ermutigt‘ und ‚Menschen befähigt, sich kritisch mit rechter Propaganda auseinanderzusetzen‘? Angesichts der Fülle, vor allem aber der Dringlichkeit möglicher Ansatzpunkte gibt es dafür keine einfachen oder gar eindeutigen Lösungen. Leichter ist dagegen die Frage nach dem ‚Wann‘ zu beantworten: Wann, wenn nicht jetzt!? 

Ein flotter Slogan, vielfach zitiert und verwendbar in den unterschiedlichsten Zusammenhängen, immer dann, wenn Veränderung, Verbesserung, Weiterentwicklung  angesagt ist. Nicht zuletzt lautete so das Motto einer Tagung zur Politischen Bildung im Herbst 2018 in der Evangelischen Akademie Hofgeismar, aus der auch die ‚Hofgeismarer Erklärung‘  hervorgegangen ist. Die Bestandsaufnahme, die bei dieser Tagung vorgenommen wurde, kam zu einem recht deprimierenden Ergebnis: die formale Politische Bildung wurde in Hessen in den letzten Jahrzehnten heruntergewirtschaftet, kaputtgespart oder zur gefälligen Unkenntlichkeit umdefiniert. In den Schulen findet sie nur noch am Rande statt und auch die ehemals blühende außerschulische Bildung darbt vor sich hin (einzelne kleine ‚Leuchtturmprojekte‘ ausgenommen, aber die machen die bildungspolitische Nacht nicht hell genug). 

Die Konsequenzen sind augenfällig. Politisches Interesse und gesellschaftliches Engagement lassen deutlich nach. Gleichzeitig schwindet die Fähigkeit zur kritischen Auseinandersetzung mit einer exorbitant wachsenden Informationsfülle, vor allem in den digitalen Medien. Dies betrifft keineswegs nur Jugendliche. Aus der erschreckenden Geschwindigkeit und Aggressivität, mit der sich Emotionalisierungskampagnen und Hassreden im Netz ausbreiten, resultierte für uns deshalb ein dringlicher  Handlungsbedarf im Themenfeld Hate Speech/Hate Breach. Auch wenn überproportional viele unserer aktiven Mitstreiter/innen aus dem Lehrerberuf kommen, sahen wir die vorrangige Adressatengruppe für entsprechende Bildungsangebote zunächst im Bereich der Erwachsenenbildung. 

Hate Speech und Hate Breach – Bildungsangebote für Schulen der Region

Eine Anfrage aus der Alten Landesschule in Korbach (ALS) führte allerdings zu einem klassischen Workshop-Angebot für Schülerinnen und Schüler der Sekundarstufe I. Als Kooperationspartner konnten wir dafür die Kopiloten e. V. gewinnen. Mit vielfältigen Erfahrungen aus ihrem erprobten Hatebreach – Programm haben sie im November 2019 an der ALS einen handlungsorientierten Workshop für die Jahrgangsstufe 8 organisiert, der nicht nur der Sensibilisierung für Ursachen und Formen digitaler Hasskampagnen diente, sondern auch Gegenstrategien aufzeigen sollte. Die Rückmeldungen zu diesem Pilotprojekt waren positiv. Eine längerfristige Zusammenarbeit mit der ALS deutete sich an, und es gab Interesse von anderen Schulen aus dem Landkreis. Wir hofften, auch perspektivisch ein strukturiertes Angebot für Schulen ermöglichen zu können.

Aber dann kam Corona – und damit das vorläufige Aus für schulische Präsenzangebote, zumal  in der Zusammenarbeit mit außerschulischen Bildungsträgern. Die weitere Entwicklung ist immer noch nicht absehbar. Da aber schulische Workshops zum Thema Hatespeech, obwohl – oder gerade weil –  sie Elemente der digitalen Kommunikation fokussieren, unserer Meinung nach nicht vorrangig instruktiv sein dürfen und deshalb auch nicht ohne unmittelbare Interaktion auskommen, liegt die Zusammenarbeit mit Schulen zunächst einmal auf Eis. Wir warten ab, bis auch analoge Begegnungen wieder möglich sind. 

Ein strukturiertes Bildungsangebot für junge Erwachsene

Nicht nur in dieser Situation hat sich die von Beginn an vereinbarte Begleitung durch die Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) als sehr hilfreich erwiesen. Wir freuen uns über Ermutigung und manch guten Rat zur rechten Zeit. Hinweise aus der FES halfen uns zum Beispiel, die coronabedingte Unterbrechung unserer Zusammenarbeit mit Schulen nicht nur als Verlust, sondern auch als Chance zu begreifen, uns verstärkt der Zielgruppe ‚Junge Erwachsene‘ zuzuwenden und damit an unsere ursprüngliche Positionierung in der Erwachsenenbildung anzuknüpfen. Junge Erwachsene – so zeigen nicht nur die Studien der FES – sind  diejenige Zielgruppe, die durch die vorhandenen politischen Bildungsprogramme kaum angesprochen wird. Der formalen schulischen Bildung sind sie entwachsen, die traditionellen Angebote der Erwachsenbildung durch Vereine, Gewerkschaften oder etwa die VHS erreichen sie noch (?) nicht. Gleichzeitig ist diese Generation in den ‚Echokammern‘ des Internet, in den Kommentarfunktionen, Messenger-Diensten, Foren oder Sozialen Netzwerken besonders aktiv vertreten. 

Es liegt also nahe, ein adressatenbezogenes, spezifiziertes Bildungsangebot für diese Gruppe zu entwickeln. Eine Herausforderung wird darin bestehen, analoge Umsetzungsmöglichkeiten zu definieren und/oder Formate des Blended Learning zu erarbeiten, die auch Präsenzphasen explizit einschließen. Denn: ohne die unmittelbare Kommunikation, ohne direkte Begegnung, ohne realen Diskurs und Erfahrungslernen geht es nicht – gerade wenn demokratische Teilhabe, Selbstwirksamkeit und soziale Sensibilisierung zu den zentralen Bildungszielen gehören.

Eher mittelfristig einzuordnen sind unsere Überlegungen zur Entwicklung von Bildungsmodulen für Multiplikatoren in der betrieblichen Ausbildung. Grundsätzlich können wir uns auch vorstellen an Angeboten zur Stärkung demokratischer Teilhabe im ländlichen Raum mitzuwirken, optional in Zusammenarbeit mit Institutionen, die schon länger in dieser Hinsicht aktiv sind (wie z. B. die Adam-von Trott-Stiftung). Aktive Mitarbeit in jeder Form, konstruktiver Rat und gute Ideen gerne erwünscht!

Von großen Einzelveranstaltungen zu thematischen Reihen – unser Veranstaltungsprogramm

Auch unsere großen öffentlichen Veranstaltungen haben zur politischen Bildung beigetragen, selbst wenn sie nicht dezidiert unter den Gesichtspunkten eines ‚Bildungs‘anspruchs im engeren Sinne konzipiert waren. Als Informations- und Diskussionsangebote waren sie vor allem Bestandteil der öffentlichen Meinungsbildung. Sie dienten der Aufklärung über neonazistische Strukturen und boten sowohl parlamentarischen Gremien wie dem NSU-Untersuchungsausschuss als auch Journalisten und zivilgesellschaftlichen Rechercheuren die Möglichkeit, ihre Erkenntnisse publik zu machen und dadurch notwendige Debatten anzustoßen. 

Seit 2017 haben wir in lockerer Folge insgesamt fünf solcher Veranstaltungen organisiert (siehe auch Veranstaltungen); in der Regel in den Räumen der Universität Kassel, alle mit großer öffentlicher Resonanz und weit über 100 Teilnehmerinnen und Teilnehmern. Bewährte Kooperationspartner waren dabei auch andere Bildungsträger wie die GEW und die Volkshochschule Kassel. Thematisch haben wir uns im Sinne unserer politischen Ziele mit verschiedenen Aspekten der rechten Szene in Nordhessen und den angrenzenden Regionen beschäftigt, die Arbeit der NSU-Untersuchungsausschüsse in Hessen und im Bund vorgestellt, vor allem aber mehrfach das Behördenversagen bei der Aufklärung rechter Gewalttaten und die Rolle des Verfassungsschutzes kritisch beleuchtet. Da wir durchgehend Expertinnen und Experten aus parlamentarischen Untersuchungsausschüssen sowie qualifizierte journalistische Fachleute auf unseren Podien zu Gast hatten, konnten wir einschlägiges Wissen und manchmal sogar Informationen aus erster Hand vermitteln. Die Perspektive der Opfer von rechter Gewalt wurde  besonders authentisch von der in doppelter Weise betroffenen Anwältin Seda Basay-Yildiz und einem erfahrenen Mitarbeiter des Mobilen Beratungsteams Hessen eingebracht. 

Schon unter Corona-Bedingungen und mit deshalb deutlich eingeschränkter Teilnehmer/innenzahl haben wir uns im September 2020 mit kleineren Angeboten an dem Festival von ‚Nach dem Rechten sehen‘ beteiligt (siehe Veranstaltungen). Dabei ging es einerseits um den neuen parlamentarischen Untersuchungsausschuss ‚UNA 20/1 – Dr. Walter Lübcke‘, insbesondere um Hintergrundwissen über dessen erschwerte Startbedingungen, andererseits um einen ersten Einblick in die genderspezifische Thematik von ‚Frauen in der rechten Szene‘.

Alle bisherigen Veranstaltungen waren ausdrücklich an unseren allgemeinen politischen Ziele orientiert (s. o.). Gleichzeitig haben wir bei der Organisation zeitnah auf aktuelle Entwicklungen und Ereignisse reagieren und damit ein für uns zentrales Arbeitsprinzip bisher gut umsetzen können: Zielklarheit, Offenheit und Flexibilität in guter Balance! 

Wie geht es weiter? 

Diesem Prinzip möchten wir auch in Zukunft folgen. Wir freuen uns sehr, dass inzwischen wieder Präsenzangebote möglich sind, wenn auch vorläufig noch nicht in der gleichen Größenordnung wie früher. Im Sinne der Nachhaltigkeit sind wir zunehmend dazu übergegangen, statt singulärer Großveranstaltungen thematische Reihen in jeweils überschaubarem Rahmen zu definieren. Konkret sind für das aktuelle Programmjahr folgende Veranstaltungsreihen geplant:

In einer Gesprächsreihe, die  vom „Offenen Kanal Kassel“ aufgezeichnet und gesendet wird, begleitet die Initiative weiterhin kontinuierlich die Arbeit des Hessischen Untersuchungsausschusses UNA 20/1 (Dr. Walter Lübcke). Dabei haben Landtagsabgeordnete die Gelegenheit, über ihre Arbeit im Ausschuss zu berichten, mit Vertretern der Zivilgesellschaft ins Gespräch zu kommen und Fragen und Anregungen von Bürgerinnen und Bürgern für ihre Arbeit aufzunehmen. Als Gäste werden auch zukünftig Mitglieder des Untersuchungsausschusses aus den demokratischen Parteien sowie engagierte Bürgerinnen und Bürger eingeladen.

Eine zweite Serie von Veranstaltungen befasst sich mit Frauen in der rechten Szene. Sie begann mit einer Einführung in die Problematik von Sonja Brasch (NSU-Watch) bereits in 2020 und wird in 2021 zu spezifischen Aspekten fortgesetzt, zum Beispiel zu den Strategien rechter Influencerinnen und zu Rollenmustern und Aktionsformen von Frauen in der rechten Szene. Referentinnen sind ausgewiesene Expertinnen wie Natascha Strobl (Politikwissenschaftlerin, Wien) und Michaela Köttig (Konfliktforscherin, Professorin an der Frankfurt University of Applied Science). 

Eine Reihe zum Thema ‚Rechtsterrorismus als Herausforderung staatlichen Handels‘ beginnt am 30. 09. 2021 mit einer Buchvorstellung des Autors und Rechtsextremismusexperten Martín Steinhagen und wird und im Frühjahr 2022 mit dem Journalisten Ronen Steinke (SZ) zur Rolle der Justiz im Kampf gegen Rechts fortgesetzt.

Die genannten Veranstaltungsserien gehen als Beiträge von NACHGEFRAGT in die vom Evangelischen Forum Kassel sowie weiteren Kooperationspartnern ausgerichtete Jahresreihe ‚Demokratie stärken – Gegen Hass und Terror‘ ein, sollen aber auch eigenständig weiterentwickelt werden. Einzelne Veranstaltungen wurden zudem im Sommer 2021 wiederum im Rahmen des jährlichen Festivals ‚Nach dem Rechten sehen‘ organisiert. Durch die Beteiligung an variierenden  Kooperationsverbünden  können wir  unterschiedliche Zielgruppen erreichen und hoffen, so zu einem lebendigen politischen Diskurs beizutragen. 

Recherchearbeit und Aufklärung

Nach Einschätzung der Sachverständigen J.W. Tornau und K. Neumann im Lübcke-Untersuchungsausschuss (UNA 20/1) des Hessischen Landtages ist in Kassel und Nordhessen mit ca. 100 gewaltbereiten Rechtsextramisten zu rechnen. Vor dem Hintergrund der rechtsterroristischen Morde an Halit Yozgat 2016 und Walter Lübcke 2019 sowie einer Reihe von mutmaßlich rechtsextremistisch motivierten Mordversuchen und Anschlägen in der Region steht die Arbeit des Landesamtes für Verfassungsschutz im Fokus vor allem auch der zivilgesellschaftlichen Beobachtung. Für die Initiative NACHGEFRAGT stand in der Vergangenheit die ungeklärte Rolle des damaligen Verfassungsschutzmitarbeiters Temme beim Mord an Halit Yozgat im Vordergrund. Nicht zuletzt deshalb, weil nach dem Mord auf Geheiß der Landesregierung dieser Mitarbeiter in die Personalabteilung des Regierungspräsidenten versetzt wurde und ihm dort die Bearbeitung von Personalakten hessischer Beamtinnen und Beamter oblag. Dieser Umstand verschärfte das Verlangen nach Aufklärung der Rolle und möglichen Einflussnahme des Verfassungsschützers beim NSU-Mord an Halit Yozgat. Die hessische schwarz-grüne Landesregierung und ihre nachgelagerten Behörden haben sich bis heute der Forderung einer vollständigen politischen Aufklärung aus Gründen des „Staatswohls“ verschlossen. Mit dieser Begründung wird auch weiterhin eine vollständige Akteneinsicht der Öffentlichkeit sowohl zum NSU-Mord an Halit Yozgat wie auch an Walter Lübcke verweigert. Die rechtsterroristischen Hintergründe beider Mordfälle blieben bis heute trotz der Verurteilung des Mörders an Walter Lübcke, Stefan Ernst sowie der Mordbeteiligten an den NSU-Morden, Beate Zschäpe, politisch im Dunkeln.

Damit sind die Adressaten der Forderung einer politischen Aufklärung rechter Aktivitäten in der Region, die Hessische Landesregierung und ihre nachgelagerten Behörden, insbesondere die Polizeibehörden und die Geheimdienste, genannt. Dies erscheint deshalb notwendig, weil in beiden Mordfällen wie auch den weiteren Anschlägen das Versagen der Behörden auf der Hand liegt. Mehr noch ist die zentrale Frage zivilgesellschaftlicher Organisationen unbeantwortet geblieben, ob der Mord an Walter Lübcke hätte verhindert werden können, wenn der NSU-Mord an Halit Yozgat politisch aufgeklärt und dabei insbesondere die Rolle der V-Leute einer systematischen Untersuchung unterzogen worden wäre.

Doch die politische Aufklärung allein an das Regierungshandeln zu binden, wäre vor dem Hintergrund eines nach wie vor hohen rechten Aktivitätsgrades zu kurz gegriffen. Diese Aktivitäten finden allerdings nicht mehr wie vornehmlich in den neunziger und Nullerjahren im „analogen Raum“ statt, sondern in besonderem Maße in den sog. sozialen Medien. Verschiedene Internetplattformen, Messengerdienste wie etwa Telegram und diverse Internetforen sind mittlerweile ein Tummelplatz rechter und nationalistischer Aktivitäten, die, bezogen auf die Region, nur von wenigen zivilgesellschaftlichen Organisationen systematisch verfolgt werden. Gründe hierfür liegen vor allem in der Schwierigkeit, in verschlüsselte Internetforen ohne eigene Gefährdung einzudringen. Gleichwohl ist hier ein Aufklärungsfeld vorhanden, dem unbedingt nachgegangen werden müsste, weil die staatlichen Behörden hierzu kaum öffentliche Angaben machen.

Dieses Feld aufklärerischer Arbeit schließt allerdings weitere politisch-analoge Recherchearbeiten nicht aus, die sich auf bestimmte Aktionsfelder der Rechten wie neuerdings Kraftsporteinrichtungen und Fitnessstudios, informelle Treffpunkte wie Kneipen sowie Vereine und gemeinnützige Einrichtungen wie etwa die Freiwillige Feuerwehr beziehen.

Das zentrale Ziel aufklärerischer Arbeit der Initiative NACHGEFRAGT ist die Offenlegung

rechter resp. rechtsextremistischer Aktivitäten in der Region, die kritische Begleitung politischer und behördlicher Maßnahmen sowie ihre Kommunikation in der Öffentlichkeit.

Dabei standen in der Vergangenheit öffentliche Diskussions- und Vortragsveranstaltungen mit Sachverständigen, Politikern und Aktivisten im Vordergrund. Die Veranstaltungen fanden analog mit Publikum von bis zu 300 Teilnehmerinnen und Teilnehmern z.B. in der Uni Kassel statt. Sie wurden zum Teil im TV-Format im Medienzentrum des Offenen Kanals Kassel gesendet und waren als Kooperation z.B. mit dem DGB, der GEW und dem Evangelischen Forum konzipiert und umgesetzt. Diese Veranstaltungsformate werden auch in Zukunft einen erheblichen Teil der Arbeit der von NACHGEFRAGT bleiben. Darüber hinaus sind zielgruppenspezifische Veranstaltungen etwa mit Jugendlichen und Erwachsenen als Bildungsveranstaltungen in Form von Workshops, Vortragsveranstaltungen und anderen Vermittlungsformaten teilnehmerzentriert geplant. Sämtliche Veranstaltungen haben das Ziel, nicht nur Teil der regionalen Informations- und Aufklärungskampagnen gegen Rechts zu sein, sondern gleichermaßen aktivierend im Sinne der demokratischen und rechtsstaatlichen Aktivitäten der zivilgesellschaftlichen Organisationen zu wirken.

30.09.2021 um 18:00 Uhr in der Karlskirche Martín Steinhagen/Joachim Tornau: Der Mord an Walter Lübcke

Der Autor Martín Steinhagen wird neben der Vorstellung seines Buches im Gespräch mit dem Journalisten, Kenner der rechtsradikalen Szene in der Region und Autor zahlreicher Publikatio-nen zum Rechtsradikalismus, Joachim F. Tor-nau, versuchen, Hintergründe, Entwicklungen und mögliches Behördenversagen auf die Spur zu kommen.

Flyer zur Veranstaltung

Ehrenamtspreis für NACHGEFRAGT

Den Manfred-Schaub-Ehrenamtspreis der SPD Nordhessen erhielt NACHGEFRAGT am 3.9.2021 zusammen mit sieben weiteren Initiativen aus Nordhessen. Wir wurden ausgezeichnet für „herausragendes bürgerliches Engagement“. In seiner Vorstellung würdigte MdB Timon Gremmels das Engagement gegen Rechts und das Bemühen um Aufklärung und politische Bildung. In unserer Rede stellten wir kurz die Geschichte der Initiative und die Aktivitäten für Demokratie, Aufklärung und politische Bildung vor.

Redemanuskript lesen


Urkunde


NACH DEM RECHTEN SEHEN unsere Beiträge am 12.8.2021

Unsere Veranstaltungen am 12.08.2021 
Im Festival NACH DEM RECHTEN SEHEN
Kulturzentrum Schlachthof

15:00 bis ca. 16:30 Uhr
Was bringt die Aufklärung voran? 
Landtagsabgeordnete aus dem Untersuchungsausschuss UNA 20/1 (Dr. Walter Lübcke) im Gespräch mit der Zivilgesellschaft

mit Hermann Schaus, Stefan Müller, Vanessa Gronemann (Abgeordnete im Untersuchungsausschuss), Miki Lazar (Petition Offenlegung der Akten)
Moderation: Armin Ruda (Offener Kanal Kassel)

Was wird aus der Petition für eine Offenlegung der Akten zum Behördenversagen in Hessen? Welche neuen Erkenntnisse können bei einer Offenlegung gewonnen werden? Was bringen die Zeugenvernehmungen von Nazis wie Stefan Ernst und Verfassungsschützern mit beschränkter Aussagegenehmigung wie Andreas Temme? 
In der Gesprächsrunde soll über die bisherigen Sitzungen des Untersuchungsausschusses und weitere Planungen berichtet werden. Bürgerinnen und Bürger können Fragen und Anregungen zur Ausschussarbeit formulieren.
Anmeldung workshopanmeldung-NDRS@gmx.de
(mit Name, Kontaktdaten und Veranstaltungstitel).


18:00 bis 19:30 Uhr
Jung, trendy, sympathisch – 
Rechte Influencerinnen im Netz

Vortrag und Diskussion mit Natascha Strobl 
(Politikwissenschaftlerin, Wien) 
Moderation: Marianne Huttel (NACHGEFRAGT)

Welche Bedeutung haben Frauen in der rechten Szene? Was macht diese Szene für Frauen attraktiv?
Wie arbeiten die rechten Influencerinnen? Welche Konsequenzen hat das für unser eigenes politisches Tun? Das Kontinuum rechtsradikaler Einstellungen bis hin zur Mitte der Gesellschaft soll beleuchtet werden. 

Anmeldung: workshopanmeldung-NDRS@gmx.de
(mit Name, Kontaktdaten und Veranstaltungstitel).

Die Veranstaltungen werden unterstützt durch das Evangelische Forum, den DGB Nordhessen und Arbeit und Leben e.V.

Jahresrückblick 2020

Kasseler Initiative NACHGEFRAGT e. V. – Für Demokratie, Aufklärung und politische Bildung
Jahresrückblick 2020


Liebe Mitglieder von NACHGEFRAGT e. V.,
unser erstes „vollständiges“ Vereinsjahr 2020 war gleich ein sehr besonderes. In der Folge der „Kasseler Erklärung“, die kurz vor dem Jahreswechsel am 14.12.2019 in der HNA erschien, bahnte sich eine kontinuierliche Zusammenarbeit mehrerer Organisationen und Personen für die Planung einer Veranstaltung im Sommer 2020 an. Ein Fest auf dem Rainer-Dierichs-Platz vor dem Kulturbahnhof sollte verschiedenen Demokratie-Initiativen die Gelegenheit geben, sich zu präsentieren. „Kick Rechts weg“, organisiert vom Kasseler Jugendring, wollte ein Fußballturnier für Freizeitkicker anbieten. Und Abgeordnete des Hessischen Landtags beabsichtigten über die Arbeit des neu zu gründenden Untersuchungsausschusses zum Behördenversagen im Fall des Mordes an Dr. Walter Lübcke (UNA 20/1) zu informieren. Als Termin war der 27.6.2020 geplant. In Vorbereitung darauf führte der Vorstand der Initiative Gespräche mit Torsten Felstehausen, MdL und Günter Rudolph, MdL. An den Vorbereitungen waren auch die Ansprechpartner im Kulturbahnhof (Caricatura, Offener Kanal, Bali-Kinos etc.) und die Initiative „Nach dem Rechten sehen“ sowie die evangelische und die katholische Kirche beteiligt.
Durch den Anschlag von Hanau am 19. Februar, bei dem ein Rechtsterrorist neun Menschen auf der Straße, in Shisha-Bars und später seine eigene Mutter und sich selbst tötete, wurde erneut bestätigt, wie wichtig die Arbeit an einem gesellschaftlichen Konsens gegen rechte Gewalttäter ist.
Unsere Mitgliederversammlung fand wie geplant am 6. März im Stadtteilzentrum Vorderer Westen statt. Dort wurde vom Vorstand die Jahresplanung vorgestellt und es wurden Verabredungen für die Weiterarbeit getroffen.

Dann kam Corona.

Es war schwierig, eine politische Gesprächskultur aufrecht zu erhalten. Treffen in kleinen Gruppen waren zunächst nur mit Abstand und im Freien möglich. Vorstandssitzungen wurden im ersten „Lockdown“ als Telefon- oder Videokonferenzen abgehalten. Trotzdem gelang es, mit der Friedrich-Ebert-Stiftung und den Kopiloten die Konzipierung eines Fortbildungs-Moduls gegen Hatespeech im Netz zu vereinbaren, das in den Grundzügen gegen Ende 2020 zur Verfügung stehen sollte (und auch gegen Ende 2020 fertig wurde).
Wir brachten die Idee eines Gedenkgottesdienstes für Dr. Walter Lübcke in die erste Präsenzsitzung des Arbeitskreises „Kultur gegen Rechts“ nach dem ersten „Lockdown“ ein. Sie stieß dort auf spontane Zustimmung. Auch die Familie Lübcke empfand die Idee als eine Unterstützung ihrer Trauerarbeit. Innerhalb kürzester Zeit wurde ein ökumenischer Gottesdienst in der katholischen Kirche Sankt Elisabeth vorbereitet und am 4.6.2020 realisiert. Aufgrund der Corona-Pandemie und der strengen Schutzbestimmungen war der Gottesdienst nur mit sehr begrenzter Teilnehmerzahl und nach Voranmeldung möglich. Für den von Pastoralreferent Stefan Ahr und Dekan Dr. Gernot Gerlach gestalteten Gottesdienst gab es eine musikalische Begleitung durch Regionalkantor Thomas Pieper (Orgel) und Judith Gerdes (Oboe). Neben der Familie Lübcke und den Demokratie-Initiativen waren viele Vertreter des politischen Lebens in Kassel gekommen, an ihrer Spitze Justizministerin Eva Kühne-Hörmann und Regierungspräsident Hermann-Josef Klüber. Im Anschluss an den Gottesdienst nutzten viele Gäste die von NACHGEFRAGT zur Verfügung gestellten weißen Nelken, um sie im Gedenken an Dr. Walter Lübcke am Regierungspräsidium Kassel niederzulegen.


NACHGEFRAGT beteiligte sich im Sommer 2020 an dem Aufruf „Demokratie stärken“, in dem Demokratie-Initiativen aus Hessen mit einem 10-Punkte Katalog mehr Engagement der hessischen Landesregierung und des Landtags bei der Bekämpfung rechtsradikaler und rassistischer Gewalt einfordern.
Die kontinuierlichen Gespräche im Kulturarbeitskreis führten zu einer engeren Zusammenarbeit von NACHGEFRAGT mit „Nach dem Rechten sehen“. In dem dreitägigen Festival vom 9. bis 11. September in der Kasseler Nordstadt übernahm unser Verein die Gestaltung eines Programmteils am 10.9.2020. Drei Angebote wurden realisiert: In einer ersten Runde diskutierten die Landtagsabgeordneten Nancy Faeser und Hermann Schaus mit Gerald Warnke und Sonja Brasch, moderiert von Lotte Laloire (Response), über die Perspektiven des Untersuchungsausschusses zum Mord an Dr. Walter Lübcke. Hier wurde die maximale Besucherzahl des großen Veranstaltungssaals im Kulturzentrum Schlachthof unter Beachtung der Hygiene-Bedingungen ausgeschöpft. Die Abgeordneten und die Experten sahen Anzeichen dafür, dass für den neuen Untersuchungsausschuss mit einer besseren Zusammenarbeit zwischen den Fraktionen des Landtags zu rechnen sein könnte, als dies im NSU-Ausschuss der vorigen Landtagsperiode der Fall war. Zuschauerfragen machten deutlich, dass das Interesse der Öffentlichkeit an der Arbeit des Ausschusses groß sein wird. Im Anschluss an die Podiumsdiskussion wurden in einem Gespräch im kleinen Kreis die Modalitäten der Zusammenarbeit zwischen NACHGEFRAGT und den Landtagsabgeordneten diskutiert.
Für das Programm des Kasseler „Herrenkonfekts“ war der Zuschauerandrang nicht sehr groß. Allerdings waren die beiden Protagonisten erfreut, überhaupt einen kulturellen Beitrag leisten zu können und ein (kleines) Honorar von NACHGEFRAGT zu erhalten.

Großen Andrang gab es ebenfalls für die dritte Veranstaltung am 10. September „Nur Männersache? Frauen in der extremen Rechten“, in der Sonja Brasch eine Übersicht über die Rolle der Frauen bei den Rechten in Nordhessen und in den angrenzenden Bundesländern gab. Sehr viele junge Frauen waren im Publikum vertreten. Es wurde deutlich, dass dieses Thema bisher zu wenig Beachtung gefunden hat. Als Konsequenz hat sich eine Arbeitsgruppe bei NACHGEFRAGT gebildet, die in 2021 weitere Veranstaltungen über Frauen in der Neuen Rechten plant, zum Beispiel über „rechte Influencerinnen auf Youtube“.
Parallel zum Festival wurde am 10.9.2020 ein Interview von Lukas Kiepe mit Torsten Felstehausen zur Arbeit des Lübcke-Ausschusses im Offenen Kanal durchgeführt, initiiert von NACHGEFRAGT. Für eine zweite Diskussionsveranstaltung über den Untersuchungsausschuss im Offenen Kanal mit Günter Rudolph und Vanessa Gronemann, moderiert von Lukas Kiepe, trug dann das Evangelische Forum die Verantwortung. Michael Lacher (NACHGEFRAGT) war als Experte dazu geladen. Zwischen NACHGEFRAGT und dem Evangelischen Forum wurde vereinbart, in 2021 eine abwechselnd zu organisierende Sendereihe über den Untersuchungsausschuss (UNA 20/1) zu gestalten.

Die beiden Vorsitzenden des Vereins beteiligten sich an einem Bildungsträgerworkshop der Friedrich-Ebert-Stiftung, der am 23.September 2020 in Frankfurt am Main stattfand. Dort wurden Konzepte für eine Bildungsarbeit diskutiert, die unter den eingeschränkten Corona-Bedingungen und mit medialer Unterstützung stattfinden muss.
Schließlich gelang es sogar, eine Jahreshauptversammlung von NACHGEFRAGT e. V. am 23.10.2020 in den Räumen des Offenen Kanals durchzuführen. Sie war aus vereinsrechtlichen Gründen notwendig, um die dauerhafte Anerkennung der Gemeinnützigkeit zu erreichen. Es konnten jedoch auch die Perspektiven der Arbeit für 2021 vorgestellt und Planungen beschlossen werden. So wird der Verein sich mit der Sprache und den Strategien der „Neuen Rechten“ in einer Veranstaltung beschäftigen, für die die österreichische Expertin Natascha Strobl bereits zugesagt hat. Die oben beschriebene Veranstaltungsreihe zu „rechten Frauen“ wird weiter vorbereitet, eine der Veranstaltungen soll wieder im Rahmen des Festivals „Nach dem Rechten sehen“ stattfinden. Die Planung eines Kulturtags auf dem Rainer-Dierichs-Platz soll fortgesetzt werden.
Die Sitzungen des Arbeitskreises „Kultur gegen Rechts“ finden weiter statt, entweder in Präsenz oder online als Video-Konferenz. Das Gleiche gilt für die Vorstandssitzungen von NACHGEFRAGT e. V. Unter erschwerten Bedingungen wird auch die Begleitung des Untersuchungsausschusses fortgesetzt werden. Auch an der virtuellen „Zukunftskonferenz“ des DGB am 7.11.2020 nahmen mehrere Vorstandsmitglieder teil. Ein Gespräch über gemeinsame Vorhaben mit dem DGB wird am Beginn von 2021 stattfinden. Nicht zuletzt auf Druck unseres Vereins wird auch eine (begrenzte) Zahl von Zuschauern bei den Sitzungen des Ausschusses anwesend sein können, nachdem in 2020 gar keine Besucher im Landtag zugelassen waren.

Für den Vorstand
Horst Paul Kuhley und Elisabeth Gessner

Presseberichte

Presseberichte über die Kasseler Initiative NACHGEFRAGT

(Hessisch-Niedersächsische Allgemeine) 

Yozgat-Mord: Welche Rolle spielte Temme?

  • HLZ 04/2017

(Zeitschrift der GEW Hessen)

Kassel: NSU-Aufklärung kommt nicht voran

  • HLZ 06/2017

Kasseler Initiative fragt nach – Temme arbeitet weiter in der Personalabteilung des RP Kassel

  • FR 25.8.2017

(Frankfurter Rundschau)

Schluss mit dem Schutz – Zwei Kasseler Initiativen wehren sich gegen den schonenden Umgang des Staates mit Andreas Temme

  • HLZ 08/2017

NSU-Untersuchungsausschuss: Diskussion am 21.9. in Kassel

  • HNA 20.9.2017

Initiative will Temmes Suspendierung

  • HNA 23.9.2017

Das bleibt vom NSU-Ausschuss

  • HLZ 11/2017

NSU-Untersuchungsausschuss arbeitet weiter

  • HLZ 12/2017

Kassel: Initiative Nachgefragt

  • Gießener Anzeiger 14.3.2018

„Bouffier hält seine Hand über ihn“

NSU-MORDE – Kasseler Aktivisten berichten im Georg-Büchner-Club über Ungereimtheiten und Widersprüche im Fall Halit Yozgat

  • FR 23.08.2018

Stiftung soll NSU-Aufklärung fortsetzen

  • HNA13.09.2018

Diskussion um Rolle des Verfassungsschutzes

  • HNA 26.11.2018

Yozgat-Preis: OB weist Kritik zurück

  • FR 28.11.2018

Kassel will allein an Halit Yozgat erinnern

  • Extra Tip 28.11.2018

OB-Alleingang? – Yozgat-Preis: Initiativen üben Kritik

  • HLZ 12/2018

Verfassungsbruch durch Verfassungsschutz“

  • HNA 31.03.19 12:43

Politiker diskutierten in Kassel über die Folgen des NSU-Prozesses

  • HLZ 3/2019

Lehren aus den NSU-Morden – Diskussion in Kassel am 28.März

  • HNA 06.04.19 16:01

Todestag von Halit Yozgat: 250 Menschen demonstrieren in Kassel gegen Rassismus (Demobild mit Thomas Jansen)

  • HLZ 5/2019

Kassel: Konsequenzen aus dem NSU-Terror

  • Der Tagesspiegel 19.6.2019

Furchtbar normal (Sebastian Leber)

  • Junge Welt 24.10.2019

Hintergrund: Schwarz-grüne und andere Loyalitäten

  • GEW Hessen Internetseite 22.10.2019

Nordhessische Neonazis – Gefahr durch rechte Netzwerke

  • Zeit online 12.08.2020

Kiyaks Deutschstunde / Rechtsterrorismus: Die Täter sollen reden
Eine Kolumne von Mely Kiyak

Redebeitrag der Initiative NACHGEFRAGT 

Solidarität mit den Betroffenen rechten Terrors

Solidarität mit den Betroffenen rechten Terrors  – kein Schlussstrich bei der Aufklärung! Kundgebung am  28.1.2021

Redebeitrag der Initiative NACHGEFRAGT 

Ich heiße Thomas Jansen und spreche im Namen der Initiative NACHGRFRAGT. Ähnlich wie die Initiative 6.April sind wir seit dem Mord an Halit Yozgat mit der Aufdeckung dieses Mordes und seiner Hintergründe befasst, und wir hinterfragen die Ursachen für den Mord an Dr. Walter Lübcke am 02. Juni 2019.
Als ich heute Morgen vom Urteil im Lübcke- Prozess hörte, musste ich zuerst an den Schock von Frau Lübcke und ihren beiden Söhnen denken, die zum zweiten Mal in vier Wochen erleben mussten, dass der Mitangeklagte Hartmann den Gerichtssaal als freier Mann verlassen konnte. Das muss ein großer Schock gewesen sein – dieser Mann, auf dessen Schreibtisch ein Aschenbecher mit Zyklon B Symbolik steht. Das muss eine Katastrophe für die Familie gewesen sein – einfach beschämend!
Es ist von meinen Vorredner*innen schon viel gesagt worden: Ein Urteil wurde gefällt, aber die rechtsradikalen Netzwerke bestehen seit Jahr und Tag weiter. Seit fast 30 Jahren, seit 1990, beklagen wir fast 200 Opfer von Mordanschlägen von rechter Seite, 467 verurteilte Rechtsextreme sind untergetaucht. In Kassel gab es in den letzten Jahren Schüsse auf einen Lehrer, die Anschläge auf den Taxifahrer in der Nordstadt und die brutale Messerattacke auf Achmed I. in Lohfelden.
Man fragt sich: Wie lange soll das eigentlich gehen? Meine Frage: Was tut die Politik? Welche Lehren zieht sie daraus? Das Versprechen der in Hessen Regierenden nach „rückhaltloser Aufklärung“ entpuppt sich vielfach als ein leeres Versprechen. Man spricht von „Einzeltätern“, von „abgekühlten Rechtsextremisten“, die wie Stephan Ernst aufgrund von Inaktivität vom „Radar der Behörde“ verschwunden seien. Schließlich muss man unter der Beweislast öffentlicher Recherchen zugeben, dass sowohl Stefan Ernst als auch Hartmann, der Lieferant der Mordwaffe, bestens vernetzte Akteure in rechten Netzwerken sind, bestens bekannt mit dubiosen V-Männern wie Benjamin Gärtner und Andreas Temme, dem V-Mann Führer, der beim Mord an Halit Yozgat anwesend war.
Die Methode, nur so viel zuzugeben, wie öffentlich bekannt wird, erweckt großes Misstrauen in der Öffentlichkeit. Man verschanzt sich hinter Geheimhaltungsvorschriften, schreddert Akten oder schließt sie für Jahre weg. Wir fragen uns: Was verbirgt sich hinter dieser mangelnden Transparenz? Hat man etwas zu verbergen? Ist es die Verwicklung des Verfassungsschutzes in die Mordtaten der rechten Szene? Welche Rolle spielte Hartmann, der Waffenlieferant und beste Kumpel von Stephan Ernst, bei der Ermordung Walter Lübckes? Wie skandalös ist sein ständiges Grinsen! Er sitzt vor der Opferfamilie und grinst tagelang. Was für eine Haltung, was für ein Mensch! Stand er auf dem Ticket eines Geheimdienstes, wie von Stephan Ernst behauptet?
Folgt man den Indizien, kann und muss man viele Fragen stellen. Vom Hessischen Untersuchungsausschuss zum Mord an Walter Lübcke erwarten wir rückhaltlose Aufklärung, Von den Behörden verlangen wir: kein Mauern, kein Rückhalten von Akten mehr!! In der Kasseler Erklärung vom Dezember 2019 fordern hunderte Unterzeichner die konsequente Aufdeckung und Zerschlagung rechtsextremer Strukturen in Nordhessen und anderswo.
Wir fordern: Kein Schlussstrich bei der Aufklärung der Morde an Halit Yozgat und Walter Lübcke, kein Schlussstrich bei der Messerattacke auf Achmed I. und beim Überfall auf den Taxifahrer Bekir Efe in der Nordstadt! Wir fragen weiter!