Recherchearbeit und Aufklärung

Nach Einschätzung der Sachverständigen J.W. Tornau und K. Neumann im Lübcke-Untersuchungsausschuss (UNA 20/1) des Hessischen Landtages ist in Kassel und Nordhessen mit ca. 100 gewaltbereiten Rechtsextramisten zu rechnen. Vor dem Hintergrund der rechtsterroristischen Morde an Halit Yozgat 2016 und Walter Lübcke 2019 sowie einer Reihe von mutmaßlich rechtsextremistisch motivierten Mordversuchen und Anschlägen in der Region steht die Arbeit des Landesamtes für Verfassungsschutz im Fokus vor allem auch der zivilgesellschaftlichen Beobachtung. Für die Initiative NACHGEFRAGT stand in der Vergangenheit die ungeklärte Rolle des damaligen Verfassungsschutzmitarbeiters Temme beim Mord an Halit Yozgat im Vordergrund. Nicht zuletzt deshalb, weil nach dem Mord auf Geheiß der Landesregierung dieser Mitarbeiter in die Personalabteilung des Regierungspräsidenten versetzt wurde und ihm dort die Bearbeitung von Personalakten hessischer Beamtinnen und Beamter oblag. Dieser Umstand verschärfte das Verlangen nach Aufklärung der Rolle und möglichen Einflussnahme des Verfassungsschützers beim NSU-Mord an Halit Yozgat. Die hessische schwarz-grüne Landesregierung und ihre nachgelagerten Behörden haben sich bis heute der Forderung einer vollständigen politischen Aufklärung aus Gründen des „Staatswohls“ verschlossen. Mit dieser Begründung wird auch weiterhin eine vollständige Akteneinsicht der Öffentlichkeit sowohl zum NSU-Mord an Halit Yozgat wie auch an Walter Lübcke verweigert. Die rechtsterroristischen Hintergründe beider Mordfälle blieben bis heute trotz der Verurteilung des Mörders an Walter Lübcke, Stefan Ernst sowie der Mordbeteiligten an den NSU-Morden, Beate Zschäpe, politisch im Dunkeln.

Damit sind die Adressaten der Forderung einer politischen Aufklärung rechter Aktivitäten in der Region, die Hessische Landesregierung und ihre nachgelagerten Behörden, insbesondere die Polizeibehörden und die Geheimdienste, genannt. Dies erscheint deshalb notwendig, weil in beiden Mordfällen wie auch den weiteren Anschlägen das Versagen der Behörden auf der Hand liegt. Mehr noch ist die zentrale Frage zivilgesellschaftlicher Organisationen unbeantwortet geblieben, ob der Mord an Walter Lübcke hätte verhindert werden können, wenn der NSU-Mord an Halit Yozgat politisch aufgeklärt und dabei insbesondere die Rolle der V-Leute einer systematischen Untersuchung unterzogen worden wäre.

Doch die politische Aufklärung allein an das Regierungshandeln zu binden, wäre vor dem Hintergrund eines nach wie vor hohen rechten Aktivitätsgrades zu kurz gegriffen. Diese Aktivitäten finden allerdings nicht mehr wie vornehmlich in den neunziger und Nullerjahren im „analogen Raum“ statt, sondern in besonderem Maße in den sog. sozialen Medien. Verschiedene Internetplattformen, Messengerdienste wie etwa Telegram und diverse Internetforen sind mittlerweile ein Tummelplatz rechter und nationalistischer Aktivitäten, die, bezogen auf die Region, nur von wenigen zivilgesellschaftlichen Organisationen systematisch verfolgt werden. Gründe hierfür liegen vor allem in der Schwierigkeit, in verschlüsselte Internetforen ohne eigene Gefährdung einzudringen. Gleichwohl ist hier ein Aufklärungsfeld vorhanden, dem unbedingt nachgegangen werden müsste, weil die staatlichen Behörden hierzu kaum öffentliche Angaben machen.

Dieses Feld aufklärerischer Arbeit schließt allerdings weitere politisch-analoge Recherchearbeiten nicht aus, die sich auf bestimmte Aktionsfelder der Rechten wie neuerdings Kraftsporteinrichtungen und Fitnessstudios, informelle Treffpunkte wie Kneipen sowie Vereine und gemeinnützige Einrichtungen wie etwa die Freiwillige Feuerwehr beziehen.

Das zentrale Ziel aufklärerischer Arbeit der Initiative NACHGEFRAGT ist die Offenlegung

rechter resp. rechtsextremistischer Aktivitäten in der Region, die kritische Begleitung politischer und behördlicher Maßnahmen sowie ihre Kommunikation in der Öffentlichkeit.

Dabei standen in der Vergangenheit öffentliche Diskussions- und Vortragsveranstaltungen mit Sachverständigen, Politikern und Aktivisten im Vordergrund. Die Veranstaltungen fanden analog mit Publikum von bis zu 300 Teilnehmerinnen und Teilnehmern z.B. in der Uni Kassel statt. Sie wurden zum Teil im TV-Format im Medienzentrum des Offenen Kanals Kassel gesendet und waren als Kooperation z.B. mit dem DGB, der GEW und dem Evangelischen Forum konzipiert und umgesetzt. Diese Veranstaltungsformate werden auch in Zukunft einen erheblichen Teil der Arbeit der von NACHGEFRAGT bleiben. Darüber hinaus sind zielgruppenspezifische Veranstaltungen etwa mit Jugendlichen und Erwachsenen als Bildungsveranstaltungen in Form von Workshops, Vortragsveranstaltungen und anderen Vermittlungsformaten teilnehmerzentriert geplant. Sämtliche Veranstaltungen haben das Ziel, nicht nur Teil der regionalen Informations- und Aufklärungskampagnen gegen Rechts zu sein, sondern gleichermaßen aktivierend im Sinne der demokratischen und rechtsstaatlichen Aktivitäten der zivilgesellschaftlichen Organisationen zu wirken.