Veranstaltung 12.12.2024 „Wächst uns die Migration tatsächlich über den Kopf?“

Die Veranstaltung hatte eine große Resonanz (immerhin ca. 75 Leute). Sozialdezernent Dr. Wett hat ausführlich auf die Fragen geantwortet, die wir ihm im Vorfeld zugesandt hatten. Pfarrer Harald Fischer berichtete sehr eindrucksvoll über seine Erfahrungen mit dem Kirchenasyl. Auch Annika Schmale (Familienzentrum der ‚Kirche im Hof‘) und Johannes Hüttich (Willkommensklasse der Freien Waldorfschule) konnten ihre jeweiligen Projekte und Arbeitszusammenhänge überzeugend darstellen. Das Publikum hatte die letzte halbe Stunde für Fragen und Statements, und die Besucherinnen und Besucher haben nachher sogar beim Aufräumen geholfen.

Insgesamt zeigte sich in den Beiträgen eine erstaunliche Diskrepanz zwischen medialer Dramatisierung des Problems und den konkreten Fakten in Kassel.

So ist die Anzahl der Geflüchteten in Kassel weit geringer als es in der aufgeheizten politischen Debatte erscheint, das zeigen die tatsächlichen Zahlen, die von Dr. Wett dargestellt wurden. Insgesamt ist die Situation vor Ort gekennzeichnet durch pragmatische Lösungsansätze und ein unaufgeregtes Zusammenwirken zwischen Kommune, freien Trägern und ehrenamtlichen Initiativen, so wird es von allen Seiten geschildert. Probleme und ‚Herausforderungen‘ sind vorhanden, gemeinsamer Nenner bei den Podiums- und Publikumsbeiträgen war aber die Suche nach konstruktiven Lösungen. Vorhandene Probleme werden nicht dadurch gelöst, dass man sie ständig beschwört, statt sie beherzt und schrittweise anzupacken. Darüber herrschte große Übereinstimmung.

Anzahl der Geflüchteten in Kassel geringer alls erwartet

‚Migration‘ erscheint nur dann als komplette Überforderung, wenn bei undifferenziertem Gebrauch dieses Begriffs die unterschiedlichsten Aspekte alle in einen Topf geworfen werden. Damit werden ohnehin verschleppte Probleme wie Wohnungsnot, Unterfinanzierung des Bildungs- und Gesundheitssystems, wirtschaftliche Krisenerscheinungen etc. auf die Flüchtlinge/Migranten abgewälzt, denen eine Art ‚Sündenbockfunktion‘ zugeschrieben wird.

Einigkeit bestand zwischen den Podiumsteilnehmern und vielen Besuchern der Veranstaltung vor allem über die Notwendigkeit, strukturelle Mängel zu beseitigen: zum Beispiel die Überbürokratisierung und eine zu kurzfristige Verteilung von Geflüchteten auf die Kommunen. Im Sinne eines grundsätzlichen Perspektivwechsels scheinen echte Integrationsmaßnahmen anstelle ängstlicher Abschottung und ‚Abschreckung‘ überfällig. Das bedeutet für Dr. Wett etwa eine unbedingte Priorität der beruflichen Integration und die Beseitigung bürokratischer Hürden vor allem bei der Anerkennung von Berufsabschlüssen. 

Richtungswechsel bei der Integration: Arbeit zuerst

Zudem sei ein Richtungswechsel bei den Integrationsmaßnahmen anzustreben: nicht ‚Sprache zuerst‘, sondern das Erlernen der Sprache durch schnelle berufliche Integration. Auch die bisher üblichen Sprachkurse und die darauf folgenden Sprachprüfungen werden als zu theoretisch („von Sprachwissenschaftlern konzipiert“) beurteilt. Es fehle der Lebensweltbezug, insbesondere auch ein berufsbezogener Sprachkompetenzerwerb. Ein Besucher brachte das in einem Fazit auf die kurze Formel „nicht die Migration wächst uns über den Kopf, sondern wir ersticken in bürokratischer Regulierungswut“.